09.01.2020

Blickpunkt Kroatien Nr. 1/2020

Mit unserem ersten Newsletter 2020 wollen wir gleich gute Stimmung verbreiten: Kroatien hat pünktlich zum Beginn seines erstmaligen EU-Ratsvorsitzes einen neuen sozialdemokratischen Staatspräsidenten. Zoran Milanović ist zwar kein Newcomer in der Politik, hat es aber wie kein anderer der ingesamt 11 Kandidatinnen und Kandidaten geschafft, eine Aufbruchstimmung im Land zu erzeugen.

Unsere beiden Autoren geben Ihnen einen Einblick in die Umstände, die diesen Sieg möglich gemacht haben und erklären Ihnen die Gemütslage in dem kleinen Land an der Adria, das das jüngste Mitgliedsland in der EU ist.

Inhaltsverzeichnis der Ausgabe 1/2020

  1. Überraschungssieg des Sozialdemokraten Zoran Milanović in der kroatischen Präsidentschaftswahl
  2. Der Wahlsieg von Zoran Milanović kündigt mögliche politische Veränderungen in Kroatien an

Überraschungssieg des Sozialdemokraten Zoran Milanović in der kroatischen Präsidentschaftswahl

Zum vierten Mal ist in Kroatien ein Mitte-Links-Kandidat zum Präsidenten gewählt worden

von Nenad Zakošek

Das offizielle Wahlergebnis stand bereits in der Wahlnacht fest: der Kandidat der SDP Zoran Milanović, der auch von kleineren Parteien aus dem links-liberalen Spektrum unterstützt wurde, gewann 52,7% der Stimmen, seine Gegenkandidatin Kolinda Grabar Kitarović, die von der regierenden HDZ und ihren politischen Partnern unterstützt wurde, bekam 47,3% der Stimmen. Bei einer Wahlbeteiligung von 55% bekam Zoran Milanović rund 1 Mio. und 34 Tausend Stimmen und Kolinda Grabar Kitarović rund 929 Tausend Stimmen (Ergebnisse des 1. und 2. Wahlgangs sind in der Tabelle 1 dargestellt). Dieses Resultat kommt als Überraschung für die meisten politischen Beobachter. Noch bis vor wenigen Wochen lag die amtierende Präsidentin Grabar Kitarović in allen Umfragen in Führung, und auch nach dem unerwarteten Vorsprung von Zoran Milanović im 1. Wahlgang am 22. Dezember 2019 gegenüber Kolinda Grabar Kitarović (29,5% zu 26,6%) wurde ein völlig offener Kampf und ein sehr knappes Ergebnis im 2. Wahlgang erwartet. Am Ende siegte Milanović überraschend deutlich. Was sind die Ursachen dieses Wahlausgangs und welche politischen Folgen wird er für das politische Leben Kroatiens haben?

Der Sieg von Zoran Milanović fiel überraschend deutlich aus

Eine Erklärung muss zunächst einmal bei den Fehlern und Schwächen der aktuellen Präsidentin und der regierenden Partei HDZ ansetzen. Erstens bedeutet das Wahlergebnis ein negatives Urteil der Mehrheit der kroatischen Wähler über die Amtsführung Kolinda Grabar Kitarovićs. Vor fünf Jahren wurde sie als Kandidatin des extrem nationalistisch und konservativ ausgerichteten HDZ-Vorsitzenden Tomislav Karamarko gewählt und agierte dann als Präsidentin zumeist auf dieser politischen Linie, auch nachdem Karamarko im Juni 2016 von seinem Posten zurücktreten musste und der moderat konservativ orientierte Andrej Plenković den HDZ-Vorsitz übernahm. Ihre Appelle zur patriotischen Einheit der kroatischen Bürger waren deswegen nicht überzeugend und wurden von nationalen Minderheiten und politisch Andersdenkenden als Drohgebärden und Ausgrenzung und als unvereinbar mit Pluralismus und Gleichberechtigung wahrgenommen. Hinzu kommt, dass sie sich immer wieder, und insbesondere im Wahlkampf, eine Vielzahl verbaler Entgleisungen leistete. Allen in Erinnerung bleibt ihre Antwort, die sie am Anfang ihres Mandats auf die Frage ab, warum sie sich in ihren Reden immer an „Kroatinnen und Kroaten“ wende und nicht an alle Bürger_innen des Landes: eine Ansprache der Bürger, meinte sie, würde doch die Bauern auslassen!

Kolinda Grabar Kitarović kam an die Macht als Exponentin des extrem nationalistischen und konservativen HDZ-Vorsitzenden Tomislav Karamarko

Zweitens muss die politische Spaltung innerhalb der regierenden HDZ als eine Ursache der Wahlniederlage betrachtet werden. Es gibt einen immer stärker zu Tage tretenden Gegensatz zwischen dem moderat konservativen Flügel um den Parteivorsitzenden und Premierminister Andrej Plenković und dem extrem nationalistischen Flügel, dem HDZ-Vizevorsitzender Milijan Brkić und die ehemaligen, von Plenković entlassenen Parteigeschäftsführer Davor Ivo Stier und Miro Kovač zugerechnet werden. Die Kandidatur zur Präsidentschaft von Miroslav Škoro als Vertreter der extrem rechten kroatischen Parteien vertiefte diese Spaltung in der HDZ, weil ein Teil der Angehörigen des rechten HDZ-Flügels insgeheim Škoro gegenüber Grabar Kitarović bevorzugte. Škoro erreichte mit ihrer Hilfe mit 24,5% der Stimmen im 1. Wahlgang ein sehr gutes Ergebnis. Nach der Wahlniederlage von Kolinda Grabar Kitarović in der Stichwahl kritisierten die oben erwähnten HDZ-Politiker vom rechten Parteiflügel den Zustand der HDZ und riefen zu Veränderungen auf. Für den HDZ-Parteitag im Frühling 2020 kündigte Milijan Brkić seine Kandidatur „für einen der hohen Parteiämter“ an. Stier und Kovač haben schon früher ihre Bewerbung um den HDZ-Vorsitz angekündigt. Satzungsgemäß muss nämlich spätestens im Mai 2020 eine neue Führung der HDZ gewählt werden, weil der letzte Parteitag, auf dem führende Gremien der HDZ gewählt wurden, im Mai 2016 stattfand. Andrej Plenković steht eine schwere Zeit im innerparteilichen Kampf bevor.

In den TV-Duellen zeigte Milanović seine kommunikative und strategische Überlegenheit

Andererseits muss man die Gründe für den Wahlsieg Zoran Milanovićs in der Tatsache suchen, dass die SDP zumindest teilweise ihre Krisen aus den vergangenen Jahren überwunden hat. Nach der verlorenen Parlamentswahl im September 2016 und der Wahl von Davor Bernardić zum Parteivorsitzenden gab es heftige innerparteiliche Auseinandersetzungen, weil einige Mitglieder des SDP-Vorstands die Führungsqualitäten von Bernardić in Frage stellten und seinen Rücktritt verlangten. Als Folge davon stürzte die Wählerunter­stützung für die SDP dramatisch ab, von 33,5% in der Wahl 2016 (auf einer gemeinsamen Liste mit kleineren Koalitionspartnern) auf 16-17% in Umfragen Anfang 2019. Die Beruhigung dieser innerparteilichen Richtungskämpfe führte inzwischen dazu, dass die SDP in Umfragen mit 25% der Stimmen wieder die HDZ einholt. Das war auch die Voraussetzung für den Wahlsieg Zoran Milanovićs. Hinzu kommt, dass Milanović einen erfolgreichen Wahlkampf führte und in den drei TV-Duellen seine kommunikative und politische Überlegenheit gegenüber Kolinda Grabar Kitarović demonstrieren konnte.

Ein Wahlsieg der Sozialdemokraten bei den ordentlichen Parlamentswahlen im September 2020 scheint nicht mehr unmöglich zu sein

Die unmittelbaren politischen Folgen der Wahl Zoran Milanovićs zum kroatischen Präsidenten werden aller Voraussicht nicht dramatisch sein, es ist nicht zu erwarten, dass er bei der Wahrnehmung seiner außen- und sicherheitspolitischen Vollmachten auf Konfrontationskurs mit Premierminister Andrej Plenković geht. Viel weitreichender dagegen sind die Folgen für das politische Klima in Kroatien: mit Zoran Milanović als Staatspräsidenten scheint auch ein Wahlsieg der Sozialdemokraten bei den ordentlichen Parlamentswahlen im September 2020 nicht mehr unmöglich.

Tabelle 1. Ergebnisse des 1. und 2. Wahlgangs der Präsidentschaftswahl in Kroatien (nach Angaben der Staatlichen Wahlkommission)

Nenad Zakošek ist Professor an der Fakultät der politischen Wissenschaften in Zagreb


Der Wahlsieg von Zoran Milanović kündigt mögliche politische Veränderungen in Kroatien an

Mit seinen klaren Worten zur Korruptionsbekämpfung antwortete der sozialdemokratische Ex-Premierminister auf den Wunsch der Wähler nach Veränderung

von Višeslav Raos

Obwohl vor der Wahl die amtierende Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović in fast allen Umfragen einen Vorsprung gegenüber dem sozialdemokratischen Kandidaten hatte, gab es schon zu dieser Zeit statistische Regressionsmodelle, die, obgleich nicht sehr zuverlässig, auf einen möglichen Sieg von Zoran Milanović hindeuteten. Dennoch war sein klarer Wahlsieg in der Stichwahl mit mehr als 100.000 Stimmen Vorsprung von niemandem vorhergesagt worden.

Ein Grund für dieses Wahlergebnis liegt mit Sicherheit in dem sehr guten Wahlkampf, den Milanović führte; auch war er, wie die drei TV-Duelle bewiesen, der Amtsinhaberin rhetorisch und sachlich überlegen. Zum Verhängnis wurde für Kolinda Grabar-Kitarović aber ein anderes Problem: zahlreiche kroatische Wähler_innen sahen sie zu sehr in der Nähe zu korrupten politischen Akteuren. Sie hatte sich im Wahlkampf stark auf die Unterstützung des Zagreber Oberbürgermeisters Milan Bandić verlassen. Der ehemalige Sozialdemokrat und langjährige Bürgermeister der Hauptstadt ist schon seit mehreren Jahren Korruptionsvorwürfen ausgesetzt. Die Staatsanwaltschaft hat gegen ihn mehrere Straf­verfahren eröffnet und im Jahr 2014 hat er sogar mehrere Monate in Untersuchungshaft verbracht. Seine Bandić-Partei hat im kroatischen Parlament eine bunt zusammengesetzte Fraktion zusammengestellt, in der neben den nur zwei Abgeordneten der Bandić-Partei, die 2016 gewählt wurden, 8 weitere politische „Deserteure“, vor allem aus der Sozialdemokratischen Partei (SDP), sowie einige Vertreter von nationalen Minderheiten versammelt sind. Die aktuelle Minderheits­regierung von HDZ und HNS (die ursprünglich auf der Koalitionsliste mit der SDP ins Parlament eingezogen war), hängt von der Unterstützung dieser Parlamentsfraktion ab. Nach dem Motto „eine Hand wäscht die andere“ sichern HDZ-Stadträte im Zagreber Stadtrat als Gegenleistung dem Bürgermeister die Mehrheit. Dieser politische Deal zwischen Premierminister Plenković und Bürgermeister Bandić riecht verdächtig nach Korruption. Trotz vielseitiger negativer Reaktionen von Seiten der kroatischen Öffentlichkeit auf diesen politischen Kuhhandel betonte Kolinda Grabar-Kitarović im Wahlkampf demonstrativ ihre Nähe zu Milan Bandić, bis hin zu dem bizarren Vorfall, dass sie Bandić zum Geburtstag ein Liedlein sang und vor Journalisten erklärte, sie bleibe Bandić treu, weil er noch nicht rechtskräftig verurteilt sei und selbst wenn er im Gefängnis landete, würde sie ihm Kuchen in die Zelle bringen.

Die größte Belastung für die amtierende Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović war ihre Nähe zu korrupten politischen Akteuren

Manche Vertreter des rechten Flügels der HDZ, wie z. B. der ehemalige Außenminister Davor Ivo Stier, haben diese Symbiose scharf kritisiert. Milanović hat im Wahlkampf und insbesondere in den Fernsehduellen die Verbindungen zwischen Grabar-Kitarović und Politikern und Prominenten, die unter Korruptionsverdacht stehen, wiederholt zum Thema gemacht und angegriffen.

Auch Filmregisseur Dario Juričan, der als einer der 11 Präsidentschaftskandidaten an der 1. Runde teilnahm und seinen Wahlkampf als künstlerische satirisch-aktivistische Perfomance konzipierte, hat die Korruption vor allem in Verbindung mit Oberbürgermeister Bandić ins Rampenlicht gestellt. Er landete mit fast 90.000 Stimmen (4,6%) landesweit auf dem fünften Platz und in Zagreb sogar auf dem vierten. Angeregt durch seine Antikorruptionskampagne wurden in Zagreb an den Samstagen vor der ersten und zweiten Wahlrunde Proteste von Bürgerinitiativen und Umweltschutzorganisationen gegen Bandić abgehalten.

Der politische Deal zwischen Premierminister Plenković und dem Zagreber Oberbürgermeister Bandić im Parlament und in der Zagreber Stadtversammlung riecht verdächtig nach Korruption

Für die Kroatische Demokratische Union (HDZ), die ein loyales Mitglied der Europäischen Volkspartei (wenn auch mit einer komplexen Beziehung zum ungarischen Premierminister Viktor Orbán) ist, war diese Präsidentschaftswahl Teil und Fortsetzung von politischen Kämpfen innerhalb und außerhalb der Partei, die den zukünftigen ideologischen Kurs der Partei bestimmen sollen. Diese wurden augenscheinlich bei der Europawahl im Mai 2019, in der ein erheblicher Teil der HDZ-Stammwähler die rechtspopulistische und euroskeptische Plattform der Kroatischen Souveränisten unterstützte. Bei der Präsidentschaftswahl setzte sich dieser Kampf mit Miroslav Škoro in der Hauptrolle fort. Als Sänger und Unternehmer und ehemaliges HDZ-Mitglied gelang es ihm, eine breite informelle Koalition von Souveränisten, Rechtspopulisten, Mitgliedern des rechten Flügels der HDZ, aber auch der Partei Most zu schmieden und im ersten Wahlgang mehr als 450 Tausend Stimmen zu für sich zu gewinnen. Škoro fuhr besonders viele Stimmen in Slawonien ein, seiner Heimatregion. Bis vor kurzem war dieser ländliche Teil Kroatiens eine Hochburg der HDZ, zugleich wandern von hier die meisten Menschen, allen voran junge Familien, nach Westeuropa aus.

Als Präsidentschaftskandidat hat der Pop-Folk-Sänger Miroslav Škoro eine breite Koalition von konservativ-nationalistischen Kräften um sich versammelt und gewann 24,5% der Stimmen

Auch ohne die Kandidatur von Škoro war die Wiederwahl von Grabar-Kitarović stark von dem „Bruderkrieg“ in der HDZ geprägt. Während ihrer Amtszeit gab es verschiedene Perioden, in denen sie Plenković heftig kritisierte und sich von der Parteiführung zu distanzieren versuchte, um sich als Sprachrohr der konservativen „Basis“ zu präsentieren. Etwa ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl näherte sie sich aber wieder dem Premierminister an, weil sie die Unterstützung der HDZ-Führung brauchte.

Mit der Wahl von Zoran Milanović zum Präsidenten hat sich das politische Klima in Kroatien schlagartig verändert

Mit der Wahl von Zoran Milanović zum Präsidenten hat sich das politische Klima in Kroatien schlagartig verändert. Es bleibt offen, wie die Zusammenarbeit zwischen dem Präsidenten Milanović und dem Premierminister Plenković funktionieren wird. Beide sind Ex-Diplomaten, die sich persönlich lange und gut kennen. Im Lichte der Eskalation der Spannungen um Iran könnte das weitere Engagement kroatischer Streitkräfte in Afghanistan in Frage gestellt werden. Im Wahlkampf hat Milanović angedeutet, dass er einen Rückzug der kroatischen Soldaten veranlassen möchte, während die Regierung stark auf Pflichten gegenüber der NATO pocht. Des Weiteren ist noch zu sehen, ob die Ernennung von neuen Botschafter_innen und Generälen, die dem Präsidenten und der Regierung gemeinsam obliegt, reibungsfrei verlaufen wird. In der zweiten Hälfte dieses Jahres wird die Parlamentswahl stattfinden, die vielleicht wie in 2015 keinen klaren Sieger hervorbringen könnte. Der neu gewählte Präsident hat versprochen, sich in Fragen der Regierungsbildung strikt an die Verfassung zu halten und keine persönlichen oder parteipolitischen Präferenzen zu zeigen. Wir können nur hoffen, dass seine Amtszeit genauso würdevoll und bedacht verlaufen wird wie seine Siegesrede am Wahlabend.

Višeslav Raos ist Dozent an der Fakultät der Politischen Wissenschaften in Zagreb

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