05.05.2020

Blickpunkt Kroatien Nr. 3/2020

Zwar steht Kroatien in der Corona-Krise immer noch vergleichsweise gut da und hat bereits weitgehende Lockerungen beschlossen, die auch den Tourismus im Blick haben, der unter der Schließung des Landes besonders leidet. Sollte der Tourismus in diesem Jahr nicht mehr in Gang kommen, droht dem Land eine weit tiefere Rezession als bisher angenommen. Der Staatshaushalt ist extremen Belastungen unterworfen nicht nur infolge der Wirtschaftspakete zur Abfederung der Corona-Pandemie, sondern auch durch die Instandsetzung hunderter öffentlicher Gebäude wie Schulen, Krankenhäuser und Museen in Zagreb, die das Erdbeben vom 22. März beschädigt hat.

Daher gilt: Kroatien benötigt in dieser schweren Zeit besondere Solidarität von Seiten Europas und braucht auch Unterstützung beim Wiederaufbau seiner Hauptstadt. Der Tourismus, gerade weil er einen ungesund hohen Anteil am Bruttoinlandsprodukt des Landes hat, kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten.

Inhaltsverzeichnis der Ausgabe 3/2020

  1. Die Corona-Krise ist in Kroatien eine Betreuungskrise
  2. Die Coronakrise in der kroatischen „Zimmer-frei-Ökonomie“

Die Corona-Krise ist in Kroatien eine Betreuungskrise

In der Krise werden geschlechtsspezifische Ungleichheiten vertieft

von Ivana Dobrotić

Kurz nachdem die Weltgesundheitsorganisation eine durch das Coronavirus verursachte Pandemie ausgerufen hatte, beschlossen zahlreiche europäische Länder, darunter auch Kroatien, Kindertagesstätten und Schulen zu schließen. Zweifelsohne werden schon diese Maßnahmen aus einer geschlechtsspezifischen wie auch sozialpolitischen Perspektive ungleiche Auswirkungen haben. Doch ist von zusätzlichen Verstärkungen auszugehen, sollten systematische, zeitnahe und angemessene Reaktionen des Staates auf die aktuelle Betreuungskrise ausbleiben, welche zahlreiche Familien und in erster Linie Frauen getroffen hat. Frauen in Kroatien verdienen auch unter „normalen Bedingungen“ weniger und übernehmen darüber hinaus die meisten Aufgaben im Haushalt und in der Betreuung der Familienmitglieder. Dabei wenden sie etwa 19 Stunden in der Woche mehr für diese Tätigkeiten auf als Männer und das obgleich ihre reguläre Arbeitszeit ähnlich hoch ist. Diese Kluft könnte sich in der aktuellen Situation noch weiter vertiefen, denn Kindertagesstätten und Schulen sind die wichtigsten Institutionen, die Frauen von der Betreuungspflicht „entlasten“ und zur gleichberechtigten Teilhabe am Arbeitsmarkt befähigen. Großeltern, die sonst die unzureichend vorhandenen Kitaplätze kompensieren und für die Eltern die „Rettung“ in der ohnehin grassierenden Betreuungskrise wären, können jetzt aufgrund des erhöhten Coronavirus-Infektionsrisikos nicht einspringen. Eine solche Situation, gepaart mit einem angesichts der Corona-Krise fragilen und von wachsender Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitsmarkt, führt gerade bei Frauen zu einem erhöhten Risiko des Arbeitsplatzverlustes.

Die durch den Lockdown infolge der Corona Pandemie ausgelöste Betreuungskrise trifft vor allem Frauen

Kroatien hat zur Abmilderung der Corona-Krise bis dato zwei Hilfspakete für die Wirtschaft auf den Weg gebracht. In keinem dieser Hilfspakete wird den spezifischen Bedürfnissen der Eltern Rechnung getragen, so wie es in anderen Ländern der Fall ist. Im Nachbarland Slowenien beispielsweise erhalten Beschäftigte, die aufgrund höherer Gewalt ihrer Arbeit nicht nachgehen können – dazu zählt sowohl die Kinderbetreuung wie auch die Einstellung des öffentlichen Nahverkehrs – Lohnersatzleistungen. Ferner hat Slowenien weitere Hilfsmaßnahmen beschlossen wie einmalige Krisen- und/oder Solidaritätszahlungen für einzelne Beschäftigte im Privatsektor, für Familien mit Kindern, Sozialhilfebezieher, Studenten und Rentner. Auch wenn wir davon ausgehen, dass gerade Frauen ihre wirtschaftlichen Aktivitäten einschränken werden, so stellen die genannten Maßnahmen immerhin eine gewisse Entlastung dar. Die in Slowenien beschlossenen Maßnahmen werden voraussichtlich das Risiko von Kinderarmut ein stückweit abmildern.

Die Zielgruppe der Eltern bleibt in den Hilfspaketen der Regierung unsichtbar

Im Gegensatz dazu waren die kroatischen Hilfspakete bisher vornehmlich auf die Wirtschaft und den Erhalt von Arbeitsplätzen ausgerichtet. Wenngleich sich vereinzelte Maßnahmen mittelbar auch auf diejenigen Familien auswirken, die von der aktuellen Betreuungskrise betroffen sind, so bleiben doch die Eltern als Zielgruppe des Hilfspakets mitsamt ihren spezifischen Herausforderungen „unsichtbar“. Konkretere, an Elternbedürfnisse orientierte Vorschläge kommen von den Oppositionsparteien, obgleich diese zum Teil unzureichend durchdacht sind. Zum Beispiel wurde im Parlament ein Änderungsantrag der Partei Most zum Gesetz über das Mutterschafts- und Elterngeld eingebracht, das darauf abzielt, den Mutterschaftsurlaub um vier Monate zu verlängern und die auf zwei Monate angelegte Elternzeit für Väter abzuschaffen.

Die Vorschläge der Opposition sind nicht immer gut durchdacht

Ein solcher Entwurf widerspricht nicht nur den Anforderungen der EU-Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, sondern würde sich langfristig auch negativ auf die Lage der Frauen in der Gesellschaft auswirken, denn es zielt auf einen längeren Mutterschaftsurlaub und nicht auf eine längere Elternzeit für beide Elternteile ab. Kroatien gewährt ohnehin einen der längsten Mutterschaftsurlaube mit dem nachweislich negativen Effekt auf Beschäftigung, Einkommen und Karriereaussichten von Frauen. Auch die Aufweichung der Väterquoten wäre kontraproduktiv, denn gerade diese hatten sich in jüngster Zeit verdoppelt und als die einzige Maßnahme erwiesen, die sich positiv auf die Gleichstellung der Geschlechter auswirkt. Väter, die die 2-monatige Erziehungszeit nutzen, ändern ihre Einstellungen und sind auch nach Ablauf des Urlaubs stärker in die Kinderbetreuung und die Hausarbeit involviert. Seitdem 2017 das Elterngeld erhöht wurde, nehmen immer mehr Väter die Elternzeit in Anspruch (2017: 4,5% der Väter, 2019: 8,7% der Väter).

Ein solcher Entwurf würde damit die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern auf dem Arbeitsmarkt und im Privatleben eher noch weiter vertiefen und richtet sich ohnehin nur an einen engeren Kreis von Müttern. Es schafft dem Problem der aktuellen Betreuungskrise also keine Abhilfe. Demgegenüber stellt ein zweiter Gesetzesvorschlag, der von der Sozialdemo­kratischen Partei Kroatiens (SDP) eingebracht wurde, einen besseren Ansatz dar: es sieht vorübergehende Lohnersatzleistungen während der Arbeitsverhinderung (durch Corona) zu Betreuungszwecken von Kindern bis zum zwölften Lebensjahr vor. Dies würde weitaus mehr Familien helfen, doch die Inanspruchnahme in voller Höhe sollte nur für diejenigen möglich sein, die in den letzten neun Monaten versicherungspflichtig beschäftigt waren (oder 12 Monate in den letzten zwei Jahren). Diese Bedingung würde besonders vulnerable Gruppen wie Eltern mit unsicheren Arbeitsverträgen und in atypischen Beschäftigungsformen aus­schließen. Sie können weiterhin nur Ansprüche auf Mindestentschädigung bei vorübergehender Arbeitsunfähigkeit (Krankenstand) nach dem Krankenversicherungsgesetz in Höhe von HRK 831,50 ( ca 110,00 Euro) geltend machen, der aber ihre Grundbedürfnisse nicht zu decken vermag.

Der Vorschlag der SDP ist bereits im Parlament abgelehnt worden, der erste wird noch diskutiert. Insgesamt lässt sich in der aktuellen politischen Debatte eine wirkliche Auseinandersetzung mit den Herausforderungen vermissen, denen die verletzlichsten Bevölkerungsteile, nämlich die armutsgefährdeten Familien, ausgesetzt sind. Die Situation der Kinder, die in Armut aufwachsen, ist besorgniserregend. Der Umstand, dass die Schulen auf längere Zeit geschlossen sind, zieht erhebliche negative soziale und gesundheitliche Folgen für armutsgefährdete Kinder nach sich. Die Kinder werden ihres grundlegenden sozialen Schutznetzwerkes entzogen, wobei einem nicht geringen Teil der Kinder durch ihr Fernbleiben von der Schule (oder Kita) sogar die Chance auf die einzige ausgewogene Mahlzeit am Tag entgeht. Schon frühere Untersuchungen in Kroatien sowie Daten von Eurostat hatten darauf hingewiesen, dass sich ein Drittel der Familien mit Kindern in Kroatien keine Mahlzeit mit Fleisch, Fisch oder einem vegetarischen Ersatz an jedem zweiten Tag leisten kann. Da immer gewisser wird, dass die Corona-Krise in eine ernsthafte wirtschaftliche Rezession münden wird, ist es wichtig, mit Hilfe von Sofortmaßnahmen die Bedürfnisse insbesondere der Familien mit Armutsrisiko zu berücksichtigen, um so einer sozialen Krise mit weitaus langfristigeren Folgen entgegenzutreten.

Armutsgefährdete Kinder sind die eigentlichen Opfer der Corona-Krise

Notwendig sind daher zusätzliche finanzielle Unterstützungen für Familien mit Kindern und Lösungen für die vorübergehende "Betreuungskrise". Unter den gegebenen Bedingungen steht die Einführung eines vorübergehenden, gut bezahlten "Krisenurlaubs" für die Kinderbetreuung für Mütter und Väter an erster Stelle. Der oben beschriebene Gesetzesvorschlag der SDP könnte in diese Richtung erweitert werden, wenn die Koppelung an vorherige Versicherungszeiten entfällt.

Ziel muss sein, dass alle Unterstützungsleistungen bei Eltern mit geringem Einkommen ankommen, ob sie vorher gearbeitet haben oder nicht, ob sie aktuell weiterarbeiten oder nicht, denn die Pandemie trifft Eltern mit prekären Arbeitsverträgen und atypischen Beschäftigungsformen besonders hart. Mit Blick auf das ungewisse Ende der Pandemie sollte ein „Krisenurlaub“ sukzessive mit Angeboten der Betreuung in Kindergärten und Schulen ergänzt werden, die den Kriterien des Infektionsschutzes entsprechend mit kleineren Gruppen oder nach einem Rotationssystem arbeiten. Es ist auch Aufgabe des Staates, die Arbeitgeber mit ins Boot zu holen und sie dahingehend zu motivieren (bzw. die Rettungsschirme so auszugestalten), dass sie Eltern durch flexible Arbeitszeiten und geringere Arbeitsbelastung entlasten.

Die Autorin trägt die alleinige Verantwortung für den Inhalt und die dargelegten Standpunkte.

Ivana Dobrotić ist außerordentliche Professorin am Studienzentrum für Sozialarbeit der Juristischen Fakultät in Zagreb und forscht gegenwärtig als Marie-Curie-Fellow an der University of Oxford, Department of Social Policy and Intervention


Die Coronakrise in der kroatischen „Zimmer-frei-Ökonomie“

Wegen ungünstiger Wirtschaftsstruktur wird Kroatien besonders hart getroffen

von Velibor Mačkić

Die aktuelle Pandemie und die damit verbundenen Maßnahmen zur Eindämmung haben weltweit einen simultanen wirtschaftlichen Schock auf der Angebots- und der Nachfrageseeite ausgelöst.

Im Falle Kroatiens und seiner „Zimmer-frei-Ökonomie“ sind Ungewissheiten und Risiken in der Wirtschaft Folge von drei Schocks, denen sie ausgesetzt ist: des gesundheitlichen, des ökonomischen und des Klima-Schocks. Während die ersten beiden heute im Fokus der Öffentlichkeit stehen, wird auch der Klima-Schock zunehmend spürbar. Er ähnelt dem gesundheitlichen Schock, weil man sich von seinen Auswirkungen nicht isolieren kann und weil zu seiner Bewältigung ebenfalls kollektives Handeln notwendig ist. Für die Bewohner von Zagreb und Umgebung muss man auf diese Liste auch das Erdbeben der Stärke 5,5 auf der Richter-Skala setzen, welches die Stadt am 22. März 2020 um 6:24 Uhr traf; wir wissen nun, dass wir nicht nur durch den Klimawandel, sondern auch durch andere Naturkatastophen verwundbar bleiben.

Die kroatische Wirtschaft hat in den letzten 30 Jahren mehrere Krisen erlebt

Die kroatische Wirtschaft hat in den letzten 30 Jahren unter mehreren Krisen gelitten: erst unter dem Krieg in der ersten Hälfte der 1990-er Jahre, dann unter der internationalen Isolation, gefolgt von der Bankenkrise und der Rezession 1999, zuletzt unter der Finanzkrise von 2009-2015. Die gegenwärtige Krise als Folge der Pandemie ist zwar enzigartig und anders als diese früheren Krisen, doch auch sie wird einmal vorüber sein. Daher stellen sich in der aktuellen Situation drei Fragen: Erstens, wann wird die Krise vorüber sein? Zweitens, wie wird die wirtschaftliche Struktur Kroatiens nach der Krise aussehen? Drittens, was können wir jetzt tun, um einen wirtschaftlich und gesellschaftlich optimalen Ausgang der Krise zu erreichen?

Die erste Frage können wir noch nicht beantworten, weil die Coronapandemie für die Entscheidungsträger noch immer viele Unbekannte beinhaltet. Über die zweite Frage hinsichtlich der Wirtschaftsstruktur als Folge der Krise können wir nur fundierte Vermutungen anstellen, weil wir es auch hier mit Ungewissheiten und Risiken zu tun haben. Die Struktur wird vor allem von der Fähigkeit der Unternehmen abhängen, eine Antwort auf den wichtigsten Trend zu finden: Beschleunigung. Schon jetzt können wir einige Bereiche nennen, wo der Trend spürbar ist: (1) Neuausrichtung der Globalisierung, (2) Digitalisierung der Geschäftsprozesse und (3) Marktkonsolidierung mit Hilfe von öffentlichen Mitteln. Bezüglich des letzteren hat das kroatische Kapitalismusmodell Erfahrungen, die am besten mit dem Begriff der Vetternwirtschaft (crony capitalism) zu beschreiben sind. Dieses Phänomen verdient besondere Aufmerksamkeit, weil es wahrscheinlich das einzige Element ist, das wir endogen im Prozess der Überwindung der Wirtschaftskrise beeinflussen können.

Auf jeden Fall bietet die gegenwärtige Struktur der kroatischen Ökonomie, die zum größten Teil auf Dienstleistungen basiert und aus kleinen und mittleren Unternehmen besteht, keine gute Ausgangsposition. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) schätzt, dass die Krise am schlimmsten den Handel und den Tourismus treffen wird, also Branchen, die in Kroatien ungefähr 345.000 Arbeitnehmer_innen beschäftigen. Nach der Berechnung des Staatlichen Statistischen Amtes betrug 2018 der Anteil des Tourismus am Bruttoinlandsprodukt (BIP) 19,6 Prozent. Vorzeitige Deindustrialisierung und gleichzeitige Vernachlässigung von Investitionen in Innovation führten zu einem exklusiven Fokus auf Kosten und Preise. Für den größten Teil der einheimischen Unternehmen sind Renten (verbunden mit der Extraktion von Natur­ressourcen) und Quasi-Renten (verbunden mit der Extraktion und Redistribution von Ressourcen durch Verbindungen mit den politischen Eliten auf nationaler und lokaler Ebene) eine große Last. Welche Unternehmen die Coronavirus-Krise überleben werden hängt von ihrer Branche, den Reserven in ihren Bilanzen, von der Anpassung ihres Geschäftsmodells bzw. Erfindung eines neuen, schließlich auch von der Nähe zur politischen Macht ab, die über öffentliche Subventionen entscheidet.

Das führt uns zu der Antwort auf die dritte Frage. Wenn wir uns eine diversifizierte, nachhaltige und wettbewerbstüchtige Wirtschaft wünschen, dann müssen die Spielregeln in Kroatien produktive Aktivitäten belohnen: wir brauchen also ein neues Modell des Staates. Kroatien braucht aktuelle mehr denn je einen institutionellen Rahmen, der Innovationen in Industrie und Dienstleistungen unterstützt.

Die kroatische Regierung hat bisher zwei Pakete der Hilfsmaßnahmen gegen die Wirtschaftskrise beschlossen

Die kroatische Regierung hat vorerst zwei Maßnahmenpakete zur Milderung der Wirtschaftskrise beschlossen. Das erste Maßnahmenpaket wurde am 17. März 2020 angenommen und umfasste 66 Maßnahmen, die hauptsächlich auf den Erhalt der Liquidität durch Hilfen für Unternehmen abzielen. Aufgrund von Informationen, die der Premierminster und Finanzminister in den Medien präsentiert haben, kann man folgende Aspekte hervorheben: (1) den Unternehmen, die durch die Corona-Pandemie betroffen sind, werden aus dem Haushalt Mindestlöhne in Höhe von 3.250 Kuna zur Wahrung der Arbeitsplätze ausgezahlt (insgesamt wird der hierfür benötigte Betrag auf 4 Mrd. Kuna geschätzt); (2) Zahlung der Einkommens- und Gewinnsteuer wird vorübergehend ausgesetzt (geschätzte Kosten für den Haushalt: 9-12 Mrd. Kuna); (3) Unternehmen erhalten mit staatlicher Unterstützung Kredite bzw. Kreditgarantien für ihre laufenden Ausgaben für Beschäftigte und das Geschäftskapital (geschätzte Kosten für den Haushalt: 17 Mrd. Kuna). Insgesamt werden die Kosten des ersten Pakets auf 30-33 Mrd. Kuna (rund 4 Mrd. Euro) geschätzt (7,2%-7,9% des BIP).

Das zweite Maßnahmenpaket wurde am 2. April 2020 angenommen. Dieses Paket war die Antwort auf zahlreiche Kritiken am ersten Maßnahmenpaket seitens der Unternehmer. Es umfasst folgende Maßnahhmen: (1) der zu Bewahrung der Arbeitsplätze gezahlte Mindestlohn wird auf 4.000 Kuna angehoben und zusätzlich werden 1.825 Kuna zur Deckung der Beiträge für Renten- und Krankenversicherung gezahlt (geschätzte Kosten für den Haushalt: 8,5 Mrd. Kuna); (2) Erlass aller Zahlungen für Steuern und Beiträge für alle durch die Krise betroffenen Unternehmen aufgrund von Geschäftsverlusten (nach einer differenzierten Skala, geschätzte Kosten für den Haushalt: 9-12 Mrd. Kuna); (3) Verschiebung der Fristen für die Zahlung der Mehrwertsteuer ; (4) Ausbau der Verfügbarkeit von Krediten und Kreditgarantien zur Sicherung der Liquidität; (5) Sparmaßnahmen in haushalts­finanzierten Institutionen und staatlichen Unternehmen. Die Kosten des zweiten Pakets werden auf 40-45 Mrd. Kuna (rund 5,5 Mrd. Euro) geschätzt (9,6%-10,8% des BIP).

Durch das zweite Maßnahmenpaket entstehen größere laufende Ausgaben für den Haushalt (durch Subventionierung der Mindestlöhne) sowie Minderung der Einnahmen (durch Erlass der Steuer- und Beitragszahlungen). Gleichzeitig werden alle Anschaffungen sowie die Neubeschäftigung im öffentlichen Sektor ausgesetzt, außer in Verbindung mit EU-finanzierten Projekten. Gegenwärtig ist unklar, um wieviel die Kapitalausgaben des Staates dadurch reduziert werden. Es ist aber klar, dass dies ein Schritt in die falsche Richtung ist. Die Auflage, dass man trotz dieser Einschränkung eine Erlaubnis des Finanzministeriums erlangen kann, um Investitionen im öffentlichen Sektor zu tätigen, eröffnet zudem infolge der in Kroatien verbreiteten Vetternwirtschaft Raum für Manipulationen. Die Intransparenz der Geschäftstätigkeit wird dadurch erhöht.

Zusätzliche Probleme ergeben sich aus regionalen Unterschieden in Kroatien, die durch horizontale Maßnahmen nicht berücksichtigt werden können. Auch das Problem der Schattenwirtschaft wird nicht angegangen. Die Maßnahmen der Regierung eröffnen den Unternehmen die Möglichkeit, ihre Einnahmen mit Aufschub oder überhaupt nicht anzugeben, um in den Genuss von Hilfszahlungen aus dem Haushalt zu kommen. Ohne eine aktive Rolle der zuständigen Regulatoren und eine Übersicht der Unternehmen, die Staatshilfe erhalten, entstehen hier aktuell Anreize für betrügerisches Verhalten der Unternehmer.

Die auf Dienstleistungen, insbesondere auf Tourismus, basierende Struktur der kroatischen Wirtschaft bietet keinen guten Ausgangspunkt zur Bekämpfung der Krise

Ein besonderes Problem sind die Folgen der Pandemie für die Tourismusindustrie in Kroatien. Sie ist besonders negativ von der verordneten Quarantäne und der eingeschränkten Mobilität getroffen. Auch die erwartete Reisezurückhaltung in den Ländern, aus denen die meisten Gäste kommen (Italien, Deutschland, Österreich, Slowenien) wird mittelfristig negative Effekte haben. Andererseits hat der kroatische Tourismus bestimmte Stärken, insbesondere (1) die Nähe zu Mittel- und Westeuropa, woher (2) treue und wiederkehrende Gäste kommen, die meistens (3) mit eigenen PkWs anreisen, außerdem übernachten sie am häufigsten (4) in Appartements von kleinen privaten Anbietern, die flexibel sind und sich leicht an die veränderten Umstände anpassen. Diese Struktur des touristischen Angebots mit einer Vielzahl von kleinen Anbietern, die nur eine geringe Wertschöpfung ermöglicht, wird seit Jahren durch staatliche Maßnahmen (Steuerpolitik, Ausbau des Straßennetzwerks) gefördert. Sie hat eine relativ breite Verteilung der Einnahmen aus dem Tourismus zur Folge und beruht auf einer stillschweigenden Übereinkunft zwischen Politiker_innen (die Wählerstimmen bekommen), den kleinen Appartement-Vermieter_innen und anderen touristischen Dienstleistern (die für sich Renteneinküfte sichern) und den Unternehmer_innen in der Handelsbranche (die in der touristischen Saison große Umsätze verzeichnen). Das ist das kroatische Modell der „Zimmer-frei-Ökonomie“.

Die kroatische Regierung präsentierte Ende April die Prognose, wonach das kroatische Bruttoinlandsprodukt in 2020 um 9,4% fallen wird

Neben diesen Problemen der Transparenz in der Anwendung der Anti-Krisen-Maßnahmen, bleibt das Problem, dass das Ausmaß der ökonomischen Rezession in Kroatien in 2020 schwer einzuschätzen ist. Die wichtigsten internationalen Institutionen (Weltbank, Internationaler Währungsfonds und OECD) gehen gegenwärtig von konservativen Schätzungen aus. Die Weltbank schätzt, dass das kroatische BIP infolge der negativen Effekte auf den Tourismus und ausfallende Güterexporte nach Italien und andere Länder der Eurozone in diesem Jahr um 6,2% fallen wird. Andere Schätzungen sind noch pessimistischer: der IWF präsentierte Anfang April die Projektion, wonach das kroatische BIP in 2020 um 9% fallen wird. Die kroatische Regierung verkündete am 28. April eine ähnliche Prognose: der erwartete Rückgang des kroatischen BIP beträgt 9,4%. Die „große Schließung“ trifft Kroatien am härtesten im Vergleich zur Gruppe der Schwellenländern, zu der nach IWF neben Kroatien auch Russland, Türkei, Polen, Rumänien, Ukraine, Ungarn, Weißrussland, Bulgarien und Serbien gehören.

Velibor Mačkić ist Dozent an der Ökonomischen Fakultät in Zagreb und ökonomischer Berater des kroatischen Präsidenten Zoran Milanović

Friedrich-Ebert-Stiftung
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