Die Politik in Kroatien war im Mai 2021 zum einen von der abflauenden Pandemie und der Vorfreude auf eine bessere Tourismussaison und zum anderen von den Kommunal- und Regionalwahlen geprägt. Sichtbarstes Symbol einer Aufbruchstimmung ist der fulminante Wahlsieg von Tomislav Tomašević in Zagreb, der mit einer grün-alternativen Liste das Thema nachhaltige und transparente Stadtpolititk ins Zentrum seiner Politik rückte und damit die Köpfe und Herzen der Menschen gewann. Als Oberbürgermeister der Hauptstadt, die gleichzeitig auch das Wirtschaftszentrum Kroatiens ist, wird er es nicht leicht haben, den seit Jahrzehnten grassierenden Filz zu bekämpfen und eine zukunftsfähige grüne Stadtpolitik zu machen. Einziger Trost der Sozialdemokraten (SDP), deren Kandidat lediglich auf Platz fünf kam, liegt in der Perspektive, dass sie als Koalitionspartner des neuen OB die Geschicke Zagrebs mitbestimmen dürfen.
Was die Wahlergebnisse uns im Detail sagen, erfahren Sie in der neuesten Ausgabe unseres Blickpunkt mit Beiträgen von Nenad Zakošek und Vedran Đulabić
1. Gewinner und Verlierer der Wahlen2. Das kroatische System der lokalen und regionalen Selbstverwaltung bei den Wahlen 2021
von Nenad Zakošek
Am 16. und 30. Mai (zweiter Wahlgang) fanden in Kroatien Lokal- u Regionalwahlen statt, die das kroatische Parteiensystem verändert haben. In den 428 Gemeinden, 128 Städten und 20 Gespanschaften (in Kroatisch županije, Einheiten der regionalen Selbstverwaltung) wurden Gemeinde- und Stadträte, Abgeordnete der Gespanschaftsversammlungen sowie Gemeindevorsteher, Bürgermeister und Gespane (regionale Gouverneure) gewählt. Die Wahlergebnisse auf der Ebene Gespanschaft werden in Abbildung 1 gezeigt. Die bei Lokal- und Regionalwahlen lag insgesamt bei knappn 47 Prozent (Abbildung 6).
Die konservative Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) ist mit 29,4 Prozent der Stimmen als stärkste Partei aus den Wahlen hervorgegangen. Allerdings verlor die Partei von Ministerpräsident Andrej Plenković im Vergleich zu den Parlamentswahlen im Juli 2020 mehr als ein Fünftel der Stimmen. Zugleich vergrößerte sie aber den Vorsprung vor ihrem Hauptkonkurrenten, der Sozialdemokratischen Partei Kroatiens (SDP), auf mehr als 13 Prozentpunkte. Die Kandidaten der HDZ gewannen den Vorsitz in 15 Gespanschaften, das ist ihr bestes Ergebnis seit 2009, als die Direktwahl der Gespane eingeführt wurde (Abbildung 4). HDZ-Kandidaten gewannen auch 57 Bürgermeisterposten, drei weniger als vor vier Jahren (Abbildung 5).
HDZ bleibt stärkste Partei und kann ihren Vorsprung vor SDP vergrößern
Die Sozialdemokraten gewannen 16,2 Prozent der Stimmen in den Wahlen für die Gespanschaftsversammlungen und erzielten damit das schlechteste Wahlergebnis seit den 1990-er Jahren. Dieses Resultat der SDP ist eine Folge von zwei Umständen: erstens haben sich innerparteiliche Spannungen und Konflikte in der SDP fortgesetzt und vor der Wahl noch verschärft. Der im Oktober 2020 gewählte SDP-Vorsitzende Peđa Grbin genießt keine ungeteilte Unterstützung in der Partei. Zweitens ist zum ersten Mal eine glaubhafte politische Alternative links von der SDP in der Form des Wahlbündnisses Možemo! aufgetreten und konnte in den sechs Gespanschaften, wo sie ihre Listen aufstellten, einen Teil der SDP-Wähler anziehen. Als Trost kann der SDP die Tatsache dienen, dass sie die zwei Gespansposten in der Krapinsko-zagorska und der Primorsko-goranska Gespanschaft erneut erobern konnte und weiterhin in 22 Kommunen den/die Bürgermeister/in stellt (Abbildungen 4 und 5).
Neue politische Akteure links von der SDP und rechts von der HDZ gewinnen an politischem Boden
In den letzten zwei Jahrzehnten bildeten HDZ und SDP ein Duopol im kroatischen Parteiensystem. Sie traten allein oder mit Koalitionspartnern in den Wahlen auf verschiedenen Ebenen des politischen Systems auf und gewannen zusammen über 50 Prozent der Stimmen. In den letzten Jahren ist die dominante Position der HDZ und SDP ins Wanken geraten, diesmal gewannen beide Parteien zusammen nur rund 45 Prozent der Stimmen (Abbildung 2). Neue politische Konkurrenten rechts und links von den beiden Parteien versuchen, einen Teil ihrer Wähler anzuziehen. Zuerst betrat 2015 die Partei Most als neue konservative Kraft rechts von der HDZ die politische Arena und erzielte in den Parlamentswahlen ein sehr gutes Ergebnis (Abbildung 3). Damals nutzte Most die Tatsache aus, dass keine der beiden großen Parteien ohne ihre Unterstützung die Regierung bilden konnte und trat in eine kurzlebige Koalitionsregierung mit der HDZ ein. Das Scheitern der Regierung im Juni 2016 bedeutete das Ende der politischen Karriere des HDZ-Vorsitzenden Tomislav Karamarko, der die HDZ mit einer rechtspopulistische Agenda stark nach rechts geführt hatte. Zwar trat nach den vorgezogenen Parlamentswahlen 2016 Most erneut in eine Koalitionsregierung mit der HDZ ein, wurde aber ein halbes Jahr später vom Ministerpräsidenten Andrej Plenković aus der Regierung entlassen.
Seit 2020 konkurriert auch die Heimatbewegung (DP) von Miroslav Škoro um Stimmen rechts von der HDZ. Die neuesten Wahlen bestätigten die Position der Most und der DP im kroatischen Parteiensystem. Beide Parteien konnten zusammen rund 15 Prozent der Stimmen gewinnen.
Auf der anderen Seite des politischen Spektrum ist zum ersten Mal in den Lokal- und Regionalwahlen 2017 das Wahlbündnis Možemo! in der Hauptstadt Zagreb aufgetreten. Die Wahlplattform von linken und grünen Aktivisten trat in der Hauptstadt als Alternative zu dem langjährigen Bürgermeister Milan Bandić an, der im Jahr 2000 als Kandidat der SDP gewählt worden war und 2010 seine eigene Partei gründete. Er regierte seitdem über ein klientelistisches Modell der Politik und nutzte geschickt das große Wirtschafts- und Finanzpotenzial der Hauptstadt (Zagrebs Haushalt ist größer als die Haushalte aller anderen lokaler Einheiten zusammen), um verschiedene Wählergruppen an sich zu binden und durch undurchsichtige Abmachungen die Unterstützung mächtiger Interessenlobbies zu sichern. Wegen Amtsmissbrauch und Spekulation mit städtischen Immobilien wurden mehrere Strafverfahren gegen Bandić geführt, die immer wieder im Sande verliefen. Im Februar 2021 verstarb Bandić überraschend an Herzversagen. Die Aktivisten von Možemo! waren die einzigen politischen Akteure, die konsequent die Regierungsmethoden von Bandić kritisierten und ein alternatives Modell der Stadtverwaltung anboten.
Die Wahlen bestätigen den Trend zur Stärkung unabhängiger Kandidaten und Listen
Jetzt erntet Možemo! die Früchte seiner Arbeit: der Vorsitzende von Možemo! Tomislav Tomašević gewann die Wahl zum Bürgermeister von Zagreb gegen Miroslav Škoro im 2. Wahlgang mit 65,3 Prozent der Stimmen, in der Stadtversammlung von Zagreb eroberte Možemo! 23 der 47 Sitze und wird zusammen mit der SDP über eine komfortable Mehrheit verfügen. Možemo! trat in weiteren fünf Regionen an und konnte überall Sitze in Stadträten und Gespanschaftsversammlungen gewinnen. Damit besitzt Možemo! die Grundlage, um eine wichtige Rolle auch in der nationalen politischen Arena zu spielen und die Themen grüne Stadtpolitik und Nachhaltigkeit voranzubringen.
Die aktuellen Wahlen haben zwei weitere Veränderungen bewirkt: zum einen haben sie den Trend zur Stärkung von unabhängigen, parteilosen Kandidaten und ihrer Listen bestätigt - 28 der 128 Bürgermeisterposten gingen an unabhängige Kandidaten, vor acht Jahren waren es nur 11 (siehe Abbildung 5). Zum anderen besiegelten sie den Untergang der einst bedeutenden Parteien der politischen Mitte, wie HNS und HSS, die keine Gespansposten und jeweils nur einen Bürgermeisterposten gewinnen konnten. Gleichzeitig treten neue Konkurrenten in der politischen Mitte auf, wie die Partei Centar, deren Kandidat Ivica Puljak die Wahl zum Bürgermeister der zweitgrößten kroatischen Stadt Split gewann.
Abkürzungen der Parteinamen:
BM 365 Bandić Milan 365
DP Heimatbewegung
HDZ Kroatische Demokratische Gemeinschaft
HNS Kroatische Volkspartei
HSS Kroatische Bauernpartei
IDS Istrische Demokratische Versammlung
Most „Die Brücke“
Možemo! „Wir können“ Wahlbündnis
SDP Sozialdemokratische Partei
Nenad Zakošek ist Professor an der Fakultät der politischen Wissenschaften in Zagreb und freier wissenschaftlicher Mitarbeiter der FES
von Vedran Đulabić
Das bestehende System der lokalen und regionalen Selbstverwaltung ist äußerst fragmentiert, es besteht aus 428 Gemeinden und 128 Städten als Einheiten der ersten Ebene sowie 20 Gespanschaften (županije) und der Stadt Zagreb als Einheiten der zweiten Ebene der territorialen Selbstverwaltung. Das heißt, dass die durchschnittliche Einheit der lokalen Selbstverwaltung rund 7.700 Einwohner hat. Wenn man von dieser Zahl rund 15 Prozent der nicht volljährigen, das heißt nicht wahlberechtigten Bevölkerung abzieht, kommen wir zu einer Zahl von durchschnittlich 6.500 Wählern in der durchschnittlichen Einheit der lokalen Selbstverwaltung. Wenn man die niedrige Wahlbeteiligung berücksichtigt, die ähnlich wie bei früheren Lokal- und Regionalwahlen 2021 im ersten Wahlgang nur 47 Prozent betrug, und im zweiten Wahlgang sich weiter auf nur 37 Prozent verringerte, heißt das, dass in der durchschnittlichen territorialen Einheit im ersten Wahlgang nur rund 3.000 Wähler abstimmten und im zweiten Wahlgang nur 2.400.
Die durchschnittliche territoriale Einheit hat 13 bis 15 Mitglieder des Gemeinderats. Dies bedeutet also, dass im Durchschnitt 200 bis 250 Stimmen nötig sind, um ein Mandat in den lokalen Parlamenten zu gewinnen. Die lokalen Exekutivbeamten (Gemeindevorsteher oder Bürgermeister) werden im ersten Wahlgang im Durchschnitt mit mindestens 1.500 Stimmen und im 2. Wahlgang mit 1.200 Stimmen gewählt.
Im fragmentierten System der lokalen Selbstverwaltung hat die lokale Einheit im Durchschnitt nur 6.500 Wähler
Diese Daten weisen auf mindestens zwei Sachverhalte hin. Erstens begünstigt ein so fragmentiertes System der lokalen Selbstverwaltung jene Parteien, die eine starke Infrastruktur und ein Netzwerk von lokalen Parteiorganisationen auf dem ganzen Territorium Kroatiens haben. Das ermöglicht ihnen, Kandidatenlisten in der großen Zahl der kleinen territorialen Einheiten aufzustellen. Die Fähigkeit dazu haben die großen Parteien, allen voran die HDZ, die in diesen Wahlen insgesamt 554 Kandidatenlisten registrierte. Die Mehrheit dieser Listen stellte die HDZ allein (399 bzw. 72 Prozent), stellte aber auch Listen zusammen mit Koalitionspartnern auf (155 bzw. 28 Prozent). Das sind 159 Kandidatenlisten mehr als die zweitgrößte Partei, SDP, registrierte: von den insgesamt 395 Kandidatenlisten stellte die SDP 229 bzw. 58 Prozent allein und 166 bzw. 42 Prozent mit Koalitionspartnern. Die drittstärkste Partei, gemessen an der Zahl der registrierten Kandidatenlisten, war die HSS, die von den insgesamt 233 Listen 75 bzw. 32 Prozent allein und 158 bzw. 68 Prozent mit Koalitionspartnern stellte. Es ist interessant, dass die rechtspopulistische Heimatbewegung (DP) von Miroslav Škoro als relativ junge Partei auf der politischen Szene sogar 203 Kandidatenlisten registrierte: 57 bzw. 28 Prozent allein und 146 bzw. 72 Prozent mit Koalitionspartnern. Diese Daten zeigen, dass große Parteien, vor allem die HDZ und etwas weniger die SDP, schon von vornherein die Möglichkeit haben, kumulativ die größte Zahl der Mandate zu gewinnen, vor allem auch deswegen, weil sie mehr Listen allein als mit Koalitionspartnern zur Wahl stellen.
Das fragmentierte System der lokalen Selbstverwaltung begünstigt Parteien, die ein Netzwerk von lokalen Parteiorganisationen auf dem ganzen Territorium Kroatiens haben
Eine zweite Folge der fragmentierten Territorialstruktur ist, dass dieses System die Beteiligung von parteilosen Wählergruppen an den Wahlen ermöglicht, die in den Kommunalwahlen 2021 sogar 482 Listen registriert haben. Die kleinen lokalen Einheiten erleichtern das Sammeln der Unterschriften, die für die Kandidatur für die lokale Vertretungskörperschaft (Gemeinde- bzw. Stadtrat) und für den lokalen Exekutivbeamten (Gemeindevorsteher bzw. Bürgermeister) gefordert werden.
Die Wahlergebnisse in den 14 größten Städten Kroatiens (in denen rund 40 Prozent der kroatischen Bevölkerung lebt) weisen auf einige interessante Umstände hin. Erstens ist die Wahlbeteiligung in diesen Städten niedriger als im nationalen Durchschnitt. In elf von diesen Städten lag die Wahlbeteiligung unter dem nationalen Durchschnitt von 47 Prozent im ersten Wahlgang. Die niedrigste Wahlbeteiligung war in Rijeka (37 Prozen) und die höchste in Dubrovnik (51 Prozent). Wenn wir uns anschauen, wer in den 14 Städten die Bürgermeister geworden sind, gewann die HDZ die meisten Bürgermeisterposten, insgesamt sechs (in Osijek, Zadar, Velika Gorica, Karlovac, Šibenik und Dubrovnik), die SDP gewann insgesamt drei (in Rijeka, Sisak und Varaždin); jeweils einen Posten gewannen Možemo! (Zagreb), Centar (Split) und HSLS (Bjelovar), während in zwei Städten unabhängige Kandidaten Bürgermeister wurden (in Slavonski Brod und Pula).
In zwei größten Städten Kroatiens, Zagreb und Split, wurden Kandidaten neuer Parteien, Možemo! und Centar, zu Bürgermeistern gewählt
Hinsichtlich der Verteilung der Mandate in den Stadträten der 14 Städte ist zu sagen, dass durchschnittlich sechs Listen die Sperrklausel von fünf Prozent überspringen konnten: die meisten (acht) in Dubrovniik und die wenigsten in Zadar und Velika Gorica (jeweils vier). Die HDZ ist allein oder mit Koalitionspartnern die stärkste Partei in acht der 14 Stadträte, und in allen 14 Stadträten haben HDZ-Kandidaten insgesamt 77 Mandate gewonnen (21 Prozent in den 14 Städten). Die SDP hat ebenfalls Mandate in allen 14 Stadträten gewonnen, insgesamt 52 (14 Prozent), aber nur in einem Stadtrat ist sie die stärkste Partei. An dritter Stelle in den 14 Städten ist Možemo! mit 41 Mandaten (elf Prozent) in sieben Stadträten vertreten. An vierter Stelle ist DP mit 14 Mandaten (vier Prozent) in neun Stadträten präsent und an fünfter Stelle Most mit gleichfalls 14 Mandaten (vier Prozent) in sieben Stadträten. Insgesamt 14 unabhängige Kandidatenlisten gewannen Mandate in zehn Stadträten. Dabei gewannen sogar drei unabhängige Listen Mandate in Varaždin, jeweils zwei in Slavonski Brod und Sisak und jeweils eine in den anderen Städten. In Pula war ein politischer Neuling erfolgreich, der zum Bürgermeister gewählt wurde und mit seiner unabhängigen Liste rund ein Fünftel der Mandate im Stadtrat gewann. Bemerkenswert ist, dass in den 14 größten Städten HDZ und SDP zusammen nur 35 Prozent der Mandate gewonnen haben. Damit sind die zwei etablierten Parteien zwar weiterhin die stärksten, auch in den größeren kroatischen Städten. Aber in den zwei größten Städten, Zagreb und Split, waren relativ neue Parteien erfolgreich, Možemo! und Centar, die Bürgermeisterposten eroberten und in der Stadtversammlung von Zagreb und Stadtrat von Split stark vertreten sind.
Vedran Đulabić ist Professor an der Juristischen Fakultät in Zagreb.
Praška 8 10000 Zagreb Hrvatska
+385 1 480 79 70
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