Mitten in der COVID-19 Pandemie und damit im Krisenmodus waren Kroatinnen und Kroaten am vergangenen Sonntag aufgerufen, ein neues Parlament und damit eine neue Regierung zu wählen.
Das Ergebnis bedeutet einerseits ein mehrheitliches Bekenntnis zu Regierungschef Andrej Plenković und sein Krisenmanagement. Andererseits zeigt aber die extrem niedrige Wahlbeteiligung von knapp 47 Prozent, dass das Vertrauen in dieses Krisenmanagement in der Vorwahlzeit viele Risse bekommen hat, weil immer wieder epidemiologische Grundsätze hintangestellt wurden, wenn es darum ging, im politischen Wettstreit die Nase vorn zu behalten.
Die Opposition hatte es unter diesen Bedingungen schwer und so haben die kroatischen Sozialdemokraten mit ihrem „RESTART“ Wahlbündnis ein denkbar schlechtes Wahlergebnis eingefahren. Sie müssen sich jetzt neu aufstellen und werden im September eine neue Parteiführung wählen, deren Aufgabe es sein wird, die kroatische Sozialdemokratie zu dem zu machen, was das Land angesichts der vielschichtigen Herausforderungen dringend braucht: eine starke Oppositionskraft mit einem Fahrplan für die sozial-ökologische Erneuerung von Wirtschaft und Gesellschaft.
1. Parlamentswahlen in der Coronakrise: Triumph der regierenden HDZ2. Neustrukturierung des rechten Parteienspektrums bei der Parlamentswahl 2020
Nach der Wahlniederlage sucht die kroatische Sozialdemokratie einen „Restart“
von Nenad Zakošek
Die 10. Parlamentswahlen seit der Unabhängigkeit Kroatiens fanden unter außerordentlichen Umständen statt. Am 11. März wurde in Kroatien die COVID-19-Pandemie erklärt, Wirtschaft und Gesellschaft des Landes wurden in der Folge durch epidemiologische Maßnahmen weitgehend stillgelegt. Das Krisenmanagement, das auf einer Zusammenarbeit von Experten und Politikern beruhte, zeigte gute Resultate. Bis Mitte Mai wurde die Ausbreitung der Infektion weitgehend eingedämmt. Trotz umfangreicher Restriktionen und eines dramatischen Rückgangs der Wirtschaftsleistung zeigten die Bürger ein großes Vertrauen in das Handeln der Regierung. Mitte Mai gehörte Kroatien zu den europäischen Ländern mit den besten Ergebnissen in der Bekämpfung des Coronavirus: die Zahl der an COVID-19 Erkrankten lag bei ungefähr 550 pro Million Einwohner und die Zahl der Toten lag unter 100 (ca. 23 pro Million Einwohner). Die Zahl der Infizierten nahm nur noch um fünf bis zehn Fälle täglich zu und insgesamt gab es weniger als 100 Erkrankte im ganzen Land, der Rest der Infizierten war bereits genesen. Auch die wirtschaftspolitischen Abfederungsmaßnahmen der Regierung waren relativ umfangreich und wirksam: Löhne und Gehälter von fast 600.000 Beschäftigten wurden aus dem Haushalt subventioniert und damit erhalten, während Unternehmen steuerlich entlastet wurden.
Premierminister Andrej Plenković entschied sich Mitte Mai dazu, diese günstige Situation - sowohl im Sinne der epidemiologischen Lage als auch der Unterstützung der Regierung seitens der Bürger_innen - für vorgezogene Parlamentswahlen auszunutzen. Die regulären Wahlen standen für den Herbst an: das 9. kroatische Parlament (Hrvatski sabor) war am 14. Oktober 2016 konstituiert worden und sein volles Mandat betrug laut Verfassung vier Jahre. Die Wahl hätte also spätestens Anfang Dezember 2020 stattfinden müssen (spätestens zwei Monaten nach dem Ende des Mandats). Die Verfassung sieht aber auch vor, dass das Parlament jederzeit durch eine Mehrheitsentscheidung der Abgeordneten aufgelöst werden kann.
Die Parlamentswahlen mitten in der Coronakrise hatten mit 46,9% die bisher niedrigste Wahlbeteiligung bei einer nationalen Wahl
So wurde am 18. Mai das Parlament mit einer großen Mehrheit der Stimmen aufgelöst. Auch die Opposition unterstützte diese Entscheidung. Die frühzeitigen Wahlen wurden mit der guten epidemiologischen Situation begründet, denn man wisse nicht, ob im Herbst nicht eine zweite Welle der Pandemie folgen könnte. Am 20. Mai setzte der kroatische Präsident die Wahlen für den 5. Juli an. In den darauffolgenden sechs Wochen änderte sich jedoch die epidemiologische Situation grundlegend, weil zum einen die Lockerungsmaßnahmen und zum anderen die Öffnung des Landes für den Tourismus zu einer erneuten Ausbreitung der Pandemie führten. Inzwischen gibt es einen Anstieg von 50 bis 100 Neuinfektionen täglich, die Zahl der Erkrankten ist auf rund 800 pro Million Einwohner gestiegen, nur die Zahl der an COVID-19 verstorbenen Patienten bleibt begrenzt (sie beträgt 27 pro Million Einwohner, insgesamt 114 Personen). Die Verschlechterung der epidemiologischen Lage hat sich ohne Zweifel auf die Wahlbeteiligung ausgewirkt: mit 46,9% war sie die niedrigste Wahlbeteiligung bei kroatischen Parlamentswahlen überhaupt.
Die Hauptbotschaft der HDZ im Wahlkampf war, dass die Bürger in der aktuellen Krise auf die bewährten Führungsqualitäten von Andrej Plenković setzen sollen
Die regierende Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) führte einen stark personalisierten Wahlkampf mit dem Premierminister und Parteiführer Andrej Plenković als Gravitationszentrum unter dem alles beherrschenden Motto „Sicheres Kroatien“. Die Hauptbotschaft war, dass die Bürger_innen des Landes in der aktuellen Krise auf die bewährten Führungsqualitäten von Plenković und seinen Mitarbeitern setzen sollten.
Anders als etwa noch in den Wahlen 2015, als die HDZ mit kleineren extrem rechten Parteien koalierte, wurde diesmal die HDZ sowohl von links als auch von rechts durch starke Konkurrenten herausgefordert. Der wichtigste Konkurrent von rechts war Miroslav Škoro mit seiner „Vaterländischen Bewegung“ (Domovinski pokret, DP), der kleinere extrem rechte Parteien um sich versammelt hat. Škoro verkündete seine Absicht, eine Koalition mit der HDZ einzugehen und seine nationalistische Agenda der Partei von Andrej Plenković aufzuzwingen. Neben Škoros DP trat auch die populistische Partei Most („Brücke“) an, die in der letzten Zeit immer weiter nach rechts abgedriftet ist. Most war zweimal, 2015 und 2016, Koalitionspartner der HDZ, wurde 2017 aber von Plenković aus der Regierung gedrängt.
Die gute Nachricht aus den Wahlen: die extremen Nationalisten um Miroslav Škoro werden nicht an der Regierung beteiligt
Die Konkurrenz von links wurde von den Sozialdemokraten (SDP) angeführt, die ein breites Wahlbündnis mit sechs Kleinparteien unter dem Namen „Restart-Koalition“ gebildet hatte. Nach den letzten Umfragen vor den Wahlen waren HDZ und das SDP-Wahlbündnis fast gleichauf, so dass ein Kopf-an-Kopf Rennen erwartet wurde. Die SDP und ihre „Restart“-Koalitionspartner warfen der HDZ zahlreiche Korruptionsaffären sowie eine Instrumentalisierung der Coronakrise vor und verhießen einen „Neustart“ für Kroatien unter einer neuen Regierung mit dem SDP-Chef Davor Bernardić als Premierminister. Die Umfragen deuteten auch darauf hin, dass zwei weitere linke bzw. liberale Wahlbündnisse Chancen hatten, zum ersten Mal ins Parlament einzuziehen. Das links-ökologische Bündnis „Možemo“ („Wir können“, nach dem Vorbild des spanischen Podemos benannt) setzt sich vor allem aus erfahrenen linken Aktivisten aus der Zivilgesellschaft zusammen und gewann auf Anhieb sieben Mandate. Das zweite eher liberale Wahlbündnis wird von zwei bekannten Politikerinnen, Dalija Orešković und Marijana Puljak, angeführt. Sie hatten ihren Wahlkampf vor allem gegen die Korruption und den Klientelismus der regierenden HDZ geführt und fordern eine umfassende Reform der Justiz und der öffentlichen Verwaltung.
Die SDP wird mit einem neuen Parteichef einen Neustart in der Opposition suchen
Wie die Wahlergebnisse zeigen (Tabelle 1), wurden die Wahlen eindeutig von der HDZ gewonnen, das Sicherheitsmotto der Kampagne hat offensichtlich viele Wählerinnen und Wähler überzeugt. Während die HDZ damit das beste Wahlergebnis der letzten 20 Jahren erzielte, fuhr die SDP mit ihren Koalitionspartnern das schlechteste Ergebnis seit 2003 ein (Tabelle 2). Der Vorsitzende der SDP übernahm Verantwortung für die Wahlniederlage und trat bereits am Tag nach der Wahl zurück. Statt Kroatien einen „Restart“ zu geben, wird die SDP nun einen Neustart für sich in der Opposition suchen, wobei sie zunächst einen neuen Parteivorsitzenden wählen muss.
Obwohl alle Analysten mit einer schwierigen und langwierigen Regierungsbildung gerechnet hatten, waren bei solchen klaren Mehrheitsverhältnissen schon einen Tag nach den Wahlen die Konturen der neuen kroatischen Regierung klar: Andrej Plenković wird mit den acht Vertreter_innen der nationalen Minderheiten sowie zwei Abgeordneten der liberalen Parteien (HNS und Reformisten) koalieren, mit denen er über eine parlamentarische Mehrheit von 76 Stimmen verfügt. Die extremen Nationalisten um Miroslav Škoro, obwohl als drittstärkste Kraft aus den Wahlen hervorgegangen, mussten mit Enttäuschung hinnehmen, dass die HDZ ohne sie regieren kann.
Nenad Zakošek ist Professor an der Fakultät der politischen Wissenschaften in Zagreb und freier wissenschaftlicher Mitarbeiter der FES
Trotz Stimmenverlustengewinnt HDZ die Wahl und bestätigt ihre Position als führende Mitte-Rechts-Partei
von Višeslav Raos
Die meisten Wahlprognosen, die auf Umfragen basierten, die von Januar bis Ende Juni 2020 in Kroatien durchgeführt wurden, sahen für den 5. Juli eine knappe relative Mehrheit für die von Sozialdemokraten geführte „Restart-Koalition“. Gleichzeitig wurde erwartet, dass Plenković nach der Wahl mit der souveränistischen, nationalistischen und euroskeptischen „Vaterländischen Bewegung“(DP) von Miroslav Škoro harte Verhandlungen führen muss, um eine neue parlamentarische Mehrheit bilden zu können.
Die niedrige Wahlbeteiligung wirkte sich vorteilhaft für die HDZ und nachteilig für die SDP aus
Entgegen dieser Prognosen gewann die Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) 66 Parlamentssitze und damit so viele Mandate, wie sie seit der Parlamentswahl 2007 nicht mehr hatte. Die Vaterländische Bewegung erreichte mit 16 Sitzen ein sehr gutes Ergebnis, wird jedoch nicht als Königmacher-Partei fungieren können, da sich die HDZ auch ohne sie eine Mehrheit im Parlament verschaffen kann. Die Partei Most hat sich bei dieser Wahl als eine konservative Partei neu profiliert und zieht trotz großer Stimmenverluste im Vergleich zu 2016 wieder ins Parlament ein und konsolidiert damit ihre Rolle im Parteiensystem.
Der Gesundheitsminister Vili Beroš gewann die meisten Präferenzstimmen unter den HDZ-Kandidaten
Die Parlamentswahl vom 5. Juli 2020 war der zweite Urnengang im Schatten der Corona-Pandemie, bei welchem Plenković das Tempo diktieren konnte und davon auch profitierte. Bei den innerparteilichen Wahlen in der HDZ hatte er bereits Mitte März bei niedriger Wahlbeteiligung (35,22 Prozent) glatt über seine Herausforderer gesiegt. Mit den Parlamentswahlen hat er seine Stellung in Partei und Regierung nachhaltig gefestigt. Seine engsten Vertrauten, die auch prominente Mitglieder des Nationalstabs für Zivilschutz waren, ziehen mit ihm (wieder) ins Parlament ein. Er war aber auch klug genug, den einen oder anderen seiner innerparteilichen Gegner und Kritiker auf die Wahllisten der HDZ zu setzen.
Plenkovićs Kritiker innerhalb der HDZ, die sich um einen Parlamentssitz bewarben, scheiterten daran, dass sie nicht genug Präferenzstimmen gewannen
Die auf den Frühsommer vorgezogene Parlamentswahl hatte eine sehr niedrige Wahlbeteiligung (46,9%) zur Folge, was günstig für die HDZ und schlecht für die Opposition war. Der in der Öffentlichkeit wegen der Coronakrise sehr sichtbare Gesundheitsminister Vili Beroš gewann die meisten Präferenzstimmen[1] nicht nur in der HDZ, sondern auch im Vergleich zu allen anderen Kandidaten in Kroatien. Ähnlich haben hohe Zahlen an Präferenzstimmen den Status des Finanzministers Zdravko Marić, des Innenministers Davor Božinović wie auch des jungen und relativ unbekannten Verwaltungsministers Ivan Malenica bestätigt. Der Parlamentspräsident Gordan Jandroković, der Spitzenkandidat im zweiten Wahlkreis im direkten Rennen gegen Miroslav Škoro war, erzielte auch ein sehr gutes persönliches Ergebnis. Im Gegesatz dazu war der ehemalige Außenminister Miro Kovač, der sich im März bei der HDZ-internen Wahl um den HDZ-Vorsitz beworben und dabei Plenković scharf kritisiert hatte, nicht in der Lage, vom letzten Listenplatz mit Hilfe von Präferenzstimmen wiedergewählt zu werden. Auch Stevo Culej, ein scharfer Kritiker Plenkovićs von einer rechts-außen Position innerhalb der HDZ, hat den Einzug ins Parlament verfehlt. Dagegen wird Davor Ivo Stier, der Vertreter des christlich-konservativen Flügels der Partei, der ebenfalls zu Plenković Gegnern zählt, auch in der nächsten Legislaturperiode Abgeordneter sein. Eine große Anzahl von Präferenzstimmen hat auch der unter Korruptionsverdacht stehende Božidar Kalmeta bekommen, was für Plenkovićs Wunsch nach einem neuen, „sauberen“ Image der Partei problematisch werden könnte.
[1] Abgeordnete werden durch Verhältniswahl in elf Wahlkreisen (zehn in Kroatien und einem Sonderwahlkreis für kroatische Bürger im Ausland, die keinen Wohnsitz in Kroatien haben) gewählt. Die Reihenfolge der Kandidaten auf den Wahllisten und folglich ihre Chance, ein Mandat zu gewinnen, wird durch die Parteien bestimmt. Die Wähler haben jedoch eine Präferenzstimme, mit der sie einzelnen Kandidat_innen Vorzug geben können. Die Präferenzstimmen können die Reihenfolge der Kandidaten nur dann ändern, wenn Kandidat_innen mehr als 10% der Stimmen auf sich vereinigen, die für ihre Wahlliste abgegeben wurden. Zusätzlich werden acht Vertreter der nationalen Minderheiten in Sonderwahlkreisen von Wählern gewählt, die sich als Angehörige der jeweiligen Minderheit deklarieren.
Die HDZ hat in der Wahl stark vom Corona-Effekt profitiert
Die größte Sorge der regierenden HDZ im Vorfeld der Wahlen war, Stimmen und Parlamentssitze an die von dem bekannten Pop- und Folksänger Miroslav Škoro gegründete nationalistische Vaterländische Bewegung zu verlieren, und zwar vorwiegend im (ländlichen) Osten Kroatiens (Wahlkreise IV und V). Nicht nur ist das nicht eingetreten, im vierten Wahlkreis hat die HDZ sogar zwei Sitze hinzugewonnen. Bemerkenswert ist auch, dass Plenkovićs Partei in zwei linken Hochburgen, im dritten Wahlkreis im Norden des Landes und im achten Wahlkreis (Istrien und Rijeka) jeweils einen Sitz mehr als 2016 gewonnen hat.
Dennoch: trotz der Sitzgewinne hat die HDZ wegen der sehr niedrigen Wahlbeteiligung eigentlich Stimmen verloren. Sie bekam etwa 10 Prozent weniger Stimmen als bei der letzten Parlamentswahl. Im Vergleich dazu hat die Partei Most, 2016 der wichtigste Herausforderer von rechts, knapp ein Drittel aller Stimmen verloren. Trotzdem konnte Most mit 8 Mandaten seinen parlamentarischen Status bestätigen. Mit den 16 Abgeordeten der Vaterländischen Bewegung wird Most im neuen Parlament die rechte Opposition gegen die HDZ bilden.
Letztendlich können wir feststellen, dass die HDZ stark vom Corona-Effekt, aber auch von der niedrigen Wahlbeteiligung profitieren konnte, so dass die regierende Partei mit 74.796 Stimmen weniger als 2016 fünf Sitze mehr im Parlament gewonnen hat.
Višeslav Raos ist Dozent an der Fakultät der Politischen Wissenschaften in Zagreb
Praška 8 10000 Zagreb Hrvatska
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