09.12.2020

Blickpunkt Kroatien br. 5/2020

Zum Ende dieses außergewöhnlichen Jahres, in dem wir alle gefordert waren, Strategien gegen die Folgen der COVID-19 Pandemie zu entwickeln, möchten wir Sie mit zwei Beiträgen über die Entwicklungen in unseren Partnerländern Kroatien und Slowenien im Jahr 2020 informieren.

Die Pandemie ist längst noch nicht bewältigt, daher werden unsere Regierungen und Gesellschaften weiterhin im Krisenmodus sein. Dennoch macht sich Hoffnung breit, dass wir im Jahr 2021 mit Hilfe der neuen Impfstoffe die Herausforderungen sukzessive meistern werden. Wenn uns COVID-19 eines gelehrt hat, dann ist es die Erkenntnis, dass wir uns zielstrebiger für eine ökologische und soziale Erneuerung in Wirtschaft und Gesellschaft einsetzen müssen, um zukünftige Gefahren abzumildern. Dies kann nur gelingen, wenn wir gemeinsam handeln, unsere Demokratien lebendig halten und unseren Rechtsstaat gegen Angriffe von innen und außen schützen.

Inhaltsverzeichnis der Ausgabe 5/2020

1. Das Jahr des gefährlichen Lebens
2. Was ist los in Slowenien?


Das Jahr des gefährlichen Lebens

Kroatische Politik im Schatten der Coronapandemie und der Wirtschaftskrise

von Nenad Zakošek

Das Jahr 2020 sollte für Kroatien eigentlich im Zeichen weiterer Fortschritte in der EU-Integration stehen. Seit Ende 2019 erfüllt das Land die Bedingungen für den Beitritt in den Schengen-Raum und wartet auf grünes Licht, um diesen Schritt zu vollenden. Es hat ebenfalls den Prozess zur Einführung des Euro gestartet. Das Jahr begann aber zunächst mit dem zweiten Wahlgang der Präsidentschafts­wahlen, die der Sozialdemokrat Zoran Milanović gewann; für den Herbst 2020 standen reguläre Parlamentswahlen an. Doch es kam vieles anders als erwartet, denn im Februar registrierte Kroatien den ersten Fall der Infektion mit dem Coronavirus. Ab diesem Zeitpunkt wurde die Politik durch die Dynamik der Epidemie und ihrer Bekämpfung bestimmt.

Irrwege in der Epidemiebekämpfung

Am Anfang der Epidemie waren die Maßnahmen der Regierung und der für die öffentliche Gesundheit zuständigen Institutionen angemessen und wirkungsvoll: in den ersten vier Monaten der Pandemie gehörte Kroatien zu den Staaten Europas mit den besten Ergebnissen bei der Bekämpfung des Coronavirus. Zehn Monate später, Anfang Dezember 2020, bildet Kroatien das europäische Schlusslicht, es gehört zu den Ländern mit den höchsten Infektions- und Todeszahlen. Wie ist es zu dieser kompletten Umkehrung gekommen?

Gegenwärtig bildet Kroatien das europäische Schlusslicht in der Bekämpfung des Coronavirus, es gehört zu den Ländern mit den höchsten Infektions- und Todeszahlen

Ein Rückblick auf die Maßnahmen zur Bekämpfung der Epidemie und ihre Ergebnisse zeigt, dass es in Kroatien vier Zeitabschnitte gibt, in denen verschiedene Strategien des Krisenmanagements mit völlig unterschiedlichen Resultaten gefahren wurden. In den ersten zwei Monaten (Mitte März bis Mitte Mai) wurde die institutionelle Infrastruktur zur Bekämpfung der Epidemie aufgestellt und wirksam eingesetzt. Als rechtlicher Rahmen diente das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung gegen Infektionskrankheiten, es wurden keine weiterreichende Sonder­instrumente eingesetzt wie etwa die Ausrufung des Ausnahmezustands oder die Verhängung einer Ausgangssperre. Am 11. März wurde die Epidemie ausgerufen, mit dem Krisenmanagement wurde der Nationale Stab für den Zivilschutz betraut, dessen Vollmachten durch Gesetzesänderungen am 18. März ausgeweitet wurden, damit er den Bürger_innen verbindliche Verhaltensregeln, Einschränkungen und Richtlinien vorgeben konnte. Der Stab ist ein aus Politikern und Experten bestehendes Organ mit dem Innenminister Davor Božinović an seiner Spitze. Am 19. März verkündete er einen umfassenden eineinhalbmonatigen Lockdown: viele Dienstleistungsbetriebe, Kultureinrichtungen, Restaurants und Cafés sowie die meisten Geschäfte wurden geschlossen, Schulunterricht fand online statt, der öffentlicher Verkehr wurde eingeschränkt, Bürger durften ihren Aufenthaltsort nicht verlassen außer im Notfall und mit Sondergenehmigung.

Die drastischen Einschränkungen zeigten bald Wirkung, bis Mitte Mai war die Epidemie in Kroatien weitgehend eingedämmt. In dieser ersten Phase gab es durchschnittlich rund 40 Neuinfektionen und im Schnitt starben 1,6 Menschen an Covid-19 pro Tag. Trotz negativer wirtschaftlicher Folgen des Lockdowns reagierten die Bürger_innen positiv auf diese Strategie der Epidemiebekämpfung, z.T. auch weil der Staat die Gehälter vieler Beschäftigter subventionierte und Steuer- und Krediterleichterungen für Unternehmen ermöglichte. Die Arbeitslosigkeit stieg nicht wesentlich an. Es gab keine Proteste gegen die Restriktionen.

Die nächste Phase umfasst ebenfalls zwei Monate (Mitte Mai bis Mitte Juli). Das war die Phase der weitgehenden Lockerung von Beschränkungen, als der kroatische Premier­minister Andrej Plenković behauptete, Kroatien habe das Coronavirus besiegt und müsse sich wieder öffnen, um Wirtschaft und Tourismus zu retten. In diese Zeit fällt auch die Entscheidung, das Parlament aufzulösen und vorgezogene Parlamentswahlen abzuhalten, die Wahlen fanden am 5. Juli statt. Als Folge der guten Ergebnisse der ersten Phase der Epidemiebekämpfung waren die Infektionszahlen in der Tat niedrig, es gab durchschnittlich nur rund 20 Neuinfektionen am Tag (halb so viele wie in der ersten Phase). Insgesamt starben in diesen zwei Monaten nur 25 Personen an Covid-19. Die allgemeine Aufhebung der epidemiologisch begründeten Restriktionen führte aber dazu, dass Bürger jegliche Vorsicht aufgaben: man saß in Cafés und Restaurants ohne Gesichtsmasken, Marktplätze und Einkaufzentren wimmelten von Leuten, die keine Distanz hielten, Partys und Hochzeiten wurden gefeiert. Ähnlich verhielten sich auch die Politiker_innen im Wahlkampf. Bezeichnend ist ein Ereignis, das im Juni in Zadar stattfand: als anderswo in Europa noch alle Sportereignisse ausgesetzt waren, fand hier ein internationales Tennisturnier ohne jegliche epidemiologische Maßnahmen statt. Mitten im Wahlkampf traf sich dort Premierminister Plenković mit dem Tennisstar Novak Đoković zu einem Fototermin ohne Gesichtsmasken. Am Tag danach wurde bekannt, dass sich die meisten Tennisspieler mit dem Coronavirus angesteckt hatten. Das Vertrauen der Bürger in die Arbeit des Nationalen Stabs für den Zivilschutz schwand allmählich, weil sich herausstellte, dass dessen Mitglieder der Regierungspartei HDZ nahestehen und bei der Entscheidung über die Lockerungen nicht unabhängig agiert sondern den Wahlkampf im Blick hatten.

In der dritten Phase (Mitte Juli bis Anfang Oktober) zeigten sich die negativen Folgen der Lockerung epidemiologischer Maßnahmen. Die Zahl der neuinfizierten Personen stieg auf durchschnittlich rund 160 pro Tag, die Zahl der Personen, die an den Folgen von Covid-19 starben, erhöhte sich auf rund 2 Fälle pro Tag. Das neue Schuljahr begann mit Präsenz­unterricht. Die Botschaft des Nationalen Stabs für den Zivilschutz und der Regierung lautete weiterhin: es wird keinen neuen Lockdown geben, wir haben gelernt, mit dem Virus zu leben und wenn sich alle Bürger verantwortlich verhalten und epidemiologische Vorsichts­maßnahmen anwenden, können wir die Epidemie wieder eindämmen. Aber die Bürger hielten sich nicht daran, weil sie immer wieder sahen, dass auch Politiker (einschließlich des Gesundheitsministers Vili Beroš) die epidemiologischen Vorschriften ignorierten.

Kroatien gehört zu den EU-Ländern, die wirtschaftlich am schwersten durch die Epidemie getroffen wurden

Die vierte Phase (seit Anfang Oktober) führte schließlich als Folge der akkumulierten Versäumnisse und Fehler in der Epidemiebekämpfung zu einer regelrechten Explosion an Neuinfektionen. In den letzten zwei Monaten betrug die Zahl der Neuinfektionen im Durchschnitt mehr als 2000 Fälle am Tag, das 100-fache der Zahl, die Kroatien noch im Sommer verzeichnete. Auch die Zahl der an Covid-19 Gestorbenen ist drastisch gestiegen, zuletzt gibt es mehr als 70 Tote täglich (auf Deutschland übertragen entspräche dies 1400 Covid-19 Toten am Tag). Das Gesundheitssystem Kroatiens ist durch diese Entwicklung extrem belastet, die Bürger_innen sind verunsichert. Seit Anfang September fanden in Zagreb und Rijeka auch erste Proteste gegen die Krisenmaßnahmen der Regierung statt. Obwohl in diesen Protesten die Covid-19-Verneiner und Anhänger von Verschwörungstheorien den Ton angaben, gab es auch triftige Kritik an der Arbeit des Nationalen Stabs für den Zivilschutz. Es ist deutlich geworden, dass das Management der Epidemiebekämpfung in Kroatien nach zehn Monaten dramatisch versagt hat. Der Grund ist eine Kombination von politischem Kalkül und Inkompetenz. Kroatien ist vom europäischen Musterschüler zum Schlusslicht geworden. Mit einer 7-Tage-Inzidenz an Neuinfektionen von 582 Fällen auf 100.000 Einwohner (viermal mehr als in Deutschland) befindet sich Kroatien in der EU an vorletzter Stelle, nur Luxemburg verzeichnet eine noch höhere Zahl (625 Fälle). Kroatien gehört auch zu den EU-Ländern, die wirtschaftlich am schwersten durch die Epidemie getroffen wurden. In ihrem Herbstbericht 2020 schätzt die Europäische Kommission, dass das kroatische Bruttoinlandsprodukt um 9,6 Prozent fallen wird (EU Durchschnitt ist -7,4 Prozent). Nach dem wochenlang wiederholten Mantra, dass es keinen neuen Lockdown geben werde, führte ihn die Regierung am 28. November schließlich doch ein. Er ist weniger umfassend als im Frühling: geschlossen wurden diesmal Restaurants und Cafés sowie alle Sporteinrichtungen; Geschäfte, Theater und Betriebe der persönlichen Dienstleistungen bleiben vorerst geöffnet. Unterricht an Universitäten und mittleren Schulen wurde auf Online-Modus umgestellt, nur Grundschulen setzen den Präsenzunterricht fort. Am 30. November meldete Premierminister Plenković, dass er an Covid-19 erkrankt ist und sich in die Quarantäne begeben muss.

Die zweite Regierung von Andrej Plenković und die Umschichtung des Parteiensystems

Die vorgezogenen Parlamentswahlen am 5. Juli haben die Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) als den klaren Sieger hervorgebracht, was Parteichef Andrej Plenković ermöglichte, seine zweite Regierung zu bilden. Am 23. Juli wurde die neue Regierung im Parlament bestätigt, die neue Regierungsmehrheit umfasst genau die benötigten 76 Stimmen (von 151 Mandaten). Die Zahl der Ministerposten wurde von 20 auf 16 reduziert, die Ministerien werden diesmal nur von HDZ-Ministern geleitet. Das Besondere an der Regierung ist aber die Einbeziehung der Partei der serbischen Minderheit, SDSS, als Koalitionspartner. Die SDSS stellt mit Boris Milošević einen der vier stellvertretenden Ministerpräsidenten, der als Minister ohne Geschäftsbereich Teil der Regierung ist. Dies hat vor allem eine symbolische Bedeutung und soll eine bessere Integration der serbischen Minderheit in Kroatien fördern. Zuletzt beteiligte sich die SDSS an den HDZ-Regierungen unter Ivo Sanader (2008-2009) und Jadranka Kosor (2009-2011). Die Koalition mit der serbischen Minderheit ermöglichte der zweiten Regierung von Andrej Plenković, wichtige symbolische Gesten der Vergangenheitsbewältigung zu vollziehen. Zum ersten Mal nahm in der Person von Boris Milošević ein Vertreter der serbischen Minderheit an der Feier zum Tag des Sieges und der vaterländischen Dankbarkeit am 5. August in Knin sowie am Gedenktag für die Opfer des Vaterländischen Krieges am 18. November in Vukovar teil. Eine ebenfalls große symbolische Bedeutung hatten die Feiern am 25. August zum Gedenken an die serbischen und kroatischen zivilen Opfern des Krieges 1991-1995, an denen die beiden stellvertretenden Ministerpräsidenten Boris Milošević (SDSS) und Tomo Medved (HDZ) teilnahmen.

Ungeachtet des Versagens in der Bekämpfung der Epidemie, aber auch mehrerer Korruptionsaffären, die vor allem den Wirtschaftsminister Tomislav Ćorić belasten, sitzt Premierminister Plenković fest im Sattel. Ein durch vereinigte linke und rechte Opposition initiierter Misstrauensantrag im Parlament gegen Minister Ćorić scheiterte Ende November, die Regierungsmehrheit von 76 Stimmen bleibt stabil. Seinen Sieg bei den Parlamentswahlen in Juli nutzte Plenković, um endlich auch die Kontrolle über seine Partei zu festigen. Als der gemäßigt konservative Plenković 2016 die HDZ übernahm, stellten die von seinem Vorgänger und politischen Gegner Tomislav Karamarko ausgewählten Kader die Mehrheit in den Parteigremien, besonders auf den niedrigeren Stufen der Parteihierarchie. Mitte März besiegte Plenković seinen Herausforderer Miro Kovač bei den Wahlen zum HDZ-Vorsitzenden, auch in den HDZ-Vorstand wurden Plenkovićs Verbündete gewählt. Am 22. November wurde dieser Prozess vollendet, als von Plenković unterstützte Kandidaten für Leitungsfunktionen der Partei auf regionaler und lokaler Ebene gewählt wurden. Damit hat er seinen Einfluss in der HDZ, in der sich viele am rechten Rand gegen ihn stellten, gefestigt. Die Öffentlichkeit hat dies positiv aufgenommen, was sich darin ausdrückt, dass die HDZ in Meinungsumfragen trotz aller Defizite die Unterstützung von rund 30 Prozent der Wähler_innen genießt.

Den kroatischen Sozialdemokraten, der SDP, bescherten die Parlamentswahlen allerdings eine schwere Niederlage. Mit nur 34 Mandaten gegenüber 66 Mandaten der HDZ erzielte die SDP das schlechteste Ergebnis seit 2003. Der Parteivorsitzende Davor Bernardić trat daraufhin zurück. Nach einem längeren Auswahlverfahren wurde in einer Urwahl am 3. Oktober der Parlamentarier Peđa Grbin zum neuen SDP-Vorsitzenden gewählt. Grbin gehörte zu den innerparteilichen Kritikern von Bernardić und wurde deswegen sogar zeitweise mit einer Parteistrafe belegt (sein Mandat als Mitglied des Parteivorstands wurde vorübergehend eingefroren). Grbin verspricht eine Erneuerung der SDP und die Wiederherstellung des innerparteilichen Zusammenhalts durch eine inklusive Politik. Das hat der SDP, so scheint es, auch mehr Vertrauen in der Öffentlichkeit gebracht: in den Meinungsumfragen verbesserte sie sich von rund 18 Prozent Anfang Oktober auf rund 20 Prozent Anfang Dezember.

Die HDZ kann sich weiterhin als die stärkste kroatische Partei behaupten, aber sie sieht sich mit einer starken und aktiven Opposition von links und rechts konfrontiert

Die Parlamentswahlen im Juli haben aber auch zu strukturellen Veränderungen im Parteiensystem Kroatiens geführt: die HDZ konnte zwar ihre Position als stärkste Partei behaupten, aber sie sieht sich mit einer stärkeren Opposition von links und rechts konfrontiert, die im Parlament sehr aktiv ist. Neben der geschwächten SDP hat sich im linken Spektrum die neue links-ökologische Partei Možemo etabliert – sie liegt nach neuesten Meinungsumfragen weiterhin bei sieben Prozent, die sie auch in den Parlamentswahlen erreicht hatte.

Im rechten Parteienspektrum haben sich dagegen gleich zwei Parteien etabliert. Die konservative Partei Most konnte sich erneuern und erhielt mit 7,4 Prozent der Stimmen in den Parlamentswahlen insgesamt acht Mandate. In den Meinungsumfragen liegt sie aktuell weiterhin bei sieben bis acht Prozent. Die Vaterländische Bewegung (DP) von Miroslav Škoro, die als neuer Player in den Parlamentswahlen als Sammelbecken von extrem rechten politischen Akteuren aufgetreten war, erhielt 11,3 Prozent der Stimmen und 16 Mandate. Seit den Wahlen ist die DP aber in der Gunst der Wähler gefallen und liegt in den Meinungsumfragen bei nur noch rund acht Prozent. Es bleibt abzuwarten, ob dieses Sammelbecken Bestand haben wird, denn extrem rechte Parteien sind in Kroatien durch innere Spannungen und Zersetzungstendenzen gekennzeichnet.

Nenad Zakošek ist Professor an der Fakultät der politischen Wissenschaften in Zagreb und freier wissenschaftlicher Mitarbeiter der FES


Was ist los in Slowenien?

Sloweniens Regierungschef Janez Janša eifert Trump und Orban nach

von Türkan Karakurt

Zwar macht die kleine Alpenrepublik Slowenien selten Schlagzeilen in der internationalen Politik, dennoch sind seit März 2020 Entwicklungen in Gang, die mittlerweile auch die europäische Öffentlichkeit erreichen. Mal werden Journalisten wüst beschimpft und Politiker_innen beleidigt, ein anderes Mal werden Richter und Gerichte öffentlich als Relikte des Kommunismus denunziert oder friedlich demonstrierende Menschen hart von der Polizei angegangen. Die Zügel dieser und ähnlicher Aktionen hält Ministerpräsident Janez Janša in der Hand, der mit seiner rechtspopulistischen Slowenischen Demokratischen Partei (SDS) einen Kurswechsel in der Innen- wie auch Außenpolitik zu vollziehen versucht. Seitdem der Hardliner der slowenischen Politik am 13. März zum dritten Mal eine Koalition schmieden und die Regierungsgeschäfte übernehmen konnte, droht der soziale Frieden in Slowenien zu kippen. Den Weg hatte der alte Regierungschef Marjan Šarec freigemacht, als er unvermittelt im Januar 2020 nach weniger als eineinhalb Jahren zurücktrat und seine Regierungskoalition aus dem Mitte-links-Spektrum zerbrach, der auch die Sozialdemokratische Partei Sloweniens (Socialni Demokrati, SD) angehörte. Sein Kalkül, dass es Neuwahlen geben würde, aus denen seine Partei LMŠ (Lista Marjan Šarec) gestärkt hervorgehen könnte, ging nicht auf.

Stattdessen musste der sozialdemokratische Präsident Borut Pahor dem Parteiführer der SDS Janez Janša den Regierungsauftrag erteilen, weil dieser seine zweite Chance nutzen und eine neue Koalition zusammenbringen konnte. Das war ihm nach den Wahlen im Frühsommer 2018 nicht gelungen, obwohl seine SDS mit 25 Prozent der Stimmen der eigentliche Sieger der Parlamentswahlen gewesen war; selbst Parteien aus dem rechten und zentristischen Lager hatten sich damals geweigert, mit ihm zu koalieren.

Der neue Ministerpräsident Janez Janša versucht mit seiner rechtspopulistischen Slowenischen Demokratischen Partei (SDS) einen Kurswechsel sowohl in der Innen- wie auch der Außenpolitik zu vollziehen

Janez Janša ist ein alter Hase der slowenischen Politik; er gilt als beinharter Machtmensch, der sich in den letzten Jahrzehnten von einem kommunistischen Jugendführer zunächst in einen linken Oppositionellen und schließlich in einen Rechtspopulisten wandelte. Seine SDS hatte sich ursprünglich um das Erbe der Sozialdemokratie bemüht, bevor sie nach Rechtsaußen abdriftete. Auch beruflich ging es mit dem studierten Politologen und Journalisten auf und ab, zu Zeiten Jugoslawiens war er zuletzt sogar mit einer Art Berufsverbot belegt, um dann aber wie Phönix aus der Asche aufzusteigen und zunächst das Amt des Verteidigungsministers und später, nach der Unabhängigkeit Sloweniens, von 2004 bis 2008 erstmals das Amt des Ministerpräsidenten zu bekleiden. Ein Comeback gelang ihm dann wieder 2012, aber schon ein Jahr später fiel seine Regierung über ein Misstrauensvotum im Parlament. Seine dritte Amtszeit will der 62-jährige allem Anschein dazu nutzen, einen autoritären Regierungsstil zu etablieren und das bisher liberale und unaufgeregte Miteinander in dem nur zwei Millionen Einwohner zählenden Land dauerhaft abzuschaffen. Mit einem Trump und Orban nacheifernden Stil einseitiger Kommunikation über Tweets, Verschwörungstheorien und unbelegten Vorwürfen und Attacken gegenüber allen, die er in Opposition zu seinem Führungsanspruch sieht, ist er ein Rechtspopulist wie er im Buche steht.

In der Innenpolitik geht es Janša um nicht weniger als einen Kulturkampf: sein Gegner ist die liberale und demokratische Gesellschaft als solche, Muslime und LGBTI sowie zivilgesellschaftliche Organisationen diffamiert er entweder selbst mit Hilfe der sozialen Medien oder dem Nova24TV Medienhaus, das er 2015 mit Weggenossen gründete, von Orban nahestehenden Personen finanziert wird und das seine Propagandafeldzüge medial begleitet. Die strategischen Bastionen, die es für ihn einzunehmen gilt, sind die freien Medien, der Justizapparat sowie die Polizei. Im Kampf um die Kontrolle über die Medien gelang es seiner Regierung, eine Mehrheit von SDS-Vertretern im Programmrat des öffentlichen Rundfunks (RTV S) zu installieren. Mit ihrem Projekt aber, RTV-Direktor Igor Kadunc vor Ablauf seiner Amtszeit abzusetzen, scheiterte sie, weil nur eine Stimme im Parlament fehlte. Auch ein im Juni eingebrachtes neues Mediengesetz musste die Regierung erst einmal zurückziehen, zu scharf war die Kritik von Journalisten und Redakteuren; Ende Oktober wandte sich eine Gruppe von 22 Redakteuren und Journalisten sogar mit einem Brief an die Öffentlichkeit und kündigte an, dass sie sich gegen den staatlichen Druck auf Medien und Journalisten wehren werden.

Dessen ungeachtet pöbelt der Ministerpräsident weiterhin gegen einzelne Medien und Journalisten, vor allem dann, wenn sie Kritisches über seine Regierungsarbeit oder über sein Krisenmanagement in der Pandemie berichten.

Nach den Vorbildern Ungarns und Polens bemüht sich die Regierung Janša, Medien, Polizei und das Justizsystem zu kontrollieren

Nach den Vorbildern Ungarns und Polens bemüht sich die Regierung Janša, die Rechtsgrundlagen für Eingriffe in das Justizsystem und die Gerichte zu schaffen. Auch hier steht der Ministerpräsident an der Spitze der Kritik an Gerichtsurteilen, die ihm politisch missfallen. Seine SDS beschuldigt die slowenische Justiz - 30 Jahre nach Einführung der liberalen Demokratie und des Mehrparteiensystems - weiterhin in der Tradition der sozialistischen Ära und damit feindlich den rechten Parteien gegenüber zu stehen.

Die Kontrolle über den Justizapparat hat der Regierungschef zunächst über die Benennung eigener Kandidaten für das Verfassungsgericht zu erwirken versucht. Dies scheiterte jedoch in allen drei Anläufen, weil die notwendige Mehrheit im Parlament nicht zusammenkam. Zur Kontrolle über den Polizeiapparat musste Janša in den letzten sechs Monaten den Leiter des Nationalen Ermittlungsbüros (einer speziellen Polizeidienststelle für die Ermittlung schwerer Straftaten) gleich mehrmals auswechseln. Einer nach dem anderen ging nach kurzer Zeit wieder, weil sowohl der Innenminister als auch der Ministerpräsident ihnen vorschreiben wollten, was die Behörde zu untersuchen habe. Bemerkenswert ist, dass ihnen allen trotz der politischen Nähe zur SDS die politische Kontrolle zu weit ging.

Im August hielt die slowenische Regierung das Bled Strategic Forum ab, das zentrale jährliche außen- und sicherheitspolitische Ereignis, mit dem Slowenien auf internationalem Parkett mitzuspielen versucht. In diesem Jahr war eine ungewöhnlich hohe Zahl an Ministerpräsidenten angereist: aus Serbien, Ungarn, Polen, Kroatien, der Tschechischen Republik, der Slowakei und Slowenien. Die Ministerpräsidenten hoben alle die Besonderheiten der Visegrad-Staaten positiv hervor und warben dafür, ihr Verständnis von Demokratie (Konzentration der Macht in den Händen der Regierung, Neigungen zu einem Einparteiensystem, eine konservative Agenda gegenüber Migranten, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit) in der EU durchzusetzen.

Präsident Borut Pahor stellte sich diesem Schulterschluss der Regierung mit den Visegrad Staaten durch Treffen mit den Präsidenten Deutschlands, Italiens und Österreichs im September und Oktober entgegen. Er steht dafür, dass Slowenien im Kern der EU verbleibt, im Bündnis mit Deutschland und Frankreich. Auch die Oppositionsparteien wehren sich gegen den Kurswechsel der Regierung und verweisen darauf, dass die strategischen offiziellen außenpolitischen Grundpositionen Sloweniens weiterhin Gültigkeit haben.

Mitte Oktober demonstrierte der Ministerpräsident mit einem Tweet vor der Weltöffentlichkeit, wen er neben Orban zu seinen politischen Vorbildern zählt: er drückte Donald Trump seine Unterstützung im Präsidentschaftswahlkampf aus und bereits am 5. November twitterte er, als die Stimmen in den USA noch ausgezählt wurden, dass Trump die US-Wahlen gewonnen habe. Die Regierung Janša versucht mit vielerlei Schritten und symbolischen Gesten, Slowenien an ein von Viktor Orban geführtes Bündnis in Europa heranzuführen. Der Opposition in Slowenien missfällt dies umso mehr, als es in eine Zeit fällt, in der sich Slowenien anschickt, die EU-Ratspräsidentschaft vom 1. Juli bis 31. Dezember 2021 zu übernehmen.

Bereits wenige Wochen nach der Regierungsübernahme versammelte sich die Opposition zum rechtsnationalen Projekt der Regierung Janša in den sogenannten Freitags-Fahrradprotesten in Ljubljana und demonstriert seitdem für eine offene Gesellschaft; politische Parteien, allen voran die Sozialdemokraten und Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie der Medien sehen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit ernsthaft in Gefahr.

Die parlamentarische Opposition will die Regierung Janša mit Hilfe einer Koalition des „Verfassungsbogens“ und eines konstruktiven Misstrauensvotums absetzen

Die parlamentarische Opposition versucht mit Hilfe zahlreicher außerordentlicher Sitzungen und Initiativen der Nationalversammlung das Handeln der Regierung einzugrenzen. In der Folge gewinnt die Regierung Abstimmungen bei politischen Ernennungen und Absetzungen von Amtsträgern nicht mehr automatisch, obwohl sie über eine Mehrheit von 49 Sitzen verfügt. Der Ministerpräsidenten Janša und sein Handeln stehen oft im Zentrum der parlamentarischen Oppositionsarbeit: ihm wird u.a. vorgeworfen, den Geheimdienst genutzt zu haben, um seine Kritiker zu überwachen. In Sondersitzungen des Parlaments werden derartige Vorwürfe, aber auch Korruptionsvorwürfe im Zusammenhang mit der Anschaffung von Masken und anderem medizinischem Material untersucht. Dabei haben viele vor Augen, dass Janez Janša schon einmal wegen Korruption angeklagt und 2013 verurteilt worden war, das Verfassungsgericht hatte aber das Urteil dann wieder aufgehoben.

Für die öffentliche Meinung ist vor allem die Überwindung der durch die Pandemie ausgelösten Krise der Gradmesser zur Beurteilung der Regierungsarbeit. Lag die Unterstützung für die Maßnahmen der Regierung gegen die Corona-Krise noch bei 70 Prozent im März, so ging sie auf 44 Prozent im September auf nur sieben Prozent aktuell zurück.

Auch in der EU werden die Veränderungen, die seit März eingeläutet werden, wahrgenommen. Der Anfang Oktober der Öffentlichkeit vorgestellte Bericht über den Stand der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union stellt Slowenien zwar nicht auf die Stufe von Polen oder Ungarn, gleichwohl verweist er auf zahlreiche Defizite in Slowenien: die mangelnde Verfolgung von Wirtschaftskriminalität, scharfe verbale Angriffe von Regierungsstellen und -mitarbeitern auf Journalisten sowie eine mangelhafte Finanzierung zentraler Justizbehörden und -institutionen. Auch wurde europaweit wahrgenommen, dass das Kulturministerium im Oktober einer Reihe von NRO ihre Räumlichkeiten kündigte, nachdem sie ihnen zuvor die finanzielle Förderung gestrichen hatte.

Das Hauptziel der parlamentarischen Opposition liegt aber darin, die Regierung Janša vor den regulären Parlamentswahlen im Frühsommer 2022 abzusetzen. Dazu haben sie die Initiative „Verfassungsbogen“ gegründet und wollen mit Hilfe eines konstruktiven Misstrauensvotums einen neuen Ministerpräsidenten wählen. Zusammengeschlossen haben sich die Sozialdemokraten (SD mit aktuell 12 Prozent Wählerunterstützung), die LMŠ-Partei von Marjan Šarec (13 Prozent), die liberale SAB (3,2 Prozent) sowie die Linkspartei (aktuell bei rund acht Prozent). Für die Bildung einer neuen Regierung bringen sie aber nur 36 Mandate zusammen, nötig sind dagegen 46 Stimmen. Ihre Bemühungen richten sich daher darauf, die Koalitionspartner der Regierung für einen Wechsel zu gewinnen; da ist zum einen die Rentnerpartei DESUS, die nach turbulenten Zeiten seit Ende November wieder vom alten Vorsitzenden Karel Erjavec geführt wird, der gegen die Koalition mit Janša ist und seine Partei überzeugen will, aus dieser auszutreten. Aber auch mit den Stimmen von DESUS hätte die potenzielle neue Koalition nur 41 Stimmen. Ein Wechsel könnte erst gelingen, wenn sich die Mehrheit der insgesamt acht Abgeordneten der Partei des Modernen Zentrums (SMC) - die bis März ebenso wie DESUS der Koalitionsregierung von Marjan Šarec angehörte - die Koalition verlassen würde. Die beiden Führungspersonen der SMC, der Vorsitzende Počivalšek wie auch Parlamentspräsident Zorčič haben allerdings erklärt, dass sie die Politik der Regierung voll und ganz unterstützen und in der Koalition bleiben werden. Es geht schließlich um ihr politisches Überleben. Weil sie entgegen ihrer Wahlkampfversprechen ihr Fähnlein nach Janša gerichtet haben, hat ihre eigentlich liberale Partei einen Großteil ihrer Wählerbasis verloren, so dass es unwahrscheinlich ist, dass sie nach Neuwahlen wieder ins Parlament einziehen würde.

Damit bleibt die Regierung von Janez Janša vorerst bestehen, zumal Umfragen der SDS immer noch den höchsten Stimmanteil zwischen 21% und 23% vorhersagen. Ähnlichkeiten gibt es also nicht nur zwischen Trump und Janša, sondern auch zwischen ihren Anhängern, die ihnen treu ergeben bleiben.

Türkan Karakurt ist die Leiterin des FES-Büros in Kroatien.

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